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WBP NEWS

Online-News für den 01.04.2020

Kaufrecht

„Fiktive“ Mängelbeseitigungskosten im Kaufrecht
Die Kläger erwarben von dem Beklagten 2014 eine Eigentumswohnung zum Preis von 79.800 € unter Ausschluss der Sachmängelhaftung. In dem Kaufvertrag heißt es: “Dem Verkäufer ist bekannt, dass es in der Vergangenheit an der Schlafzimmerwand Feuchtigkeit gab. Sollte es bis zum 31.12.2015 erneut zu einer Feuchtigkeit im Schlafzimmer kommen, verpflichtet sich der Verkäufer, diese auf seine eigenen Kosten zu beheben.“ Nach Übergabe der Wohnung trat Ende 2014 Feuchtigkeit in dem Schlafzimmer der Kläger auf, zu deren Beseitigung die Kläger den Beklagten erfolglos unter Fristsetzung aufforderten. Die Wohnungseigentümer ermächtigten die Kläger durch Beschluss auch insoweit zur Behebung der Schäden, als das Gemeinschaftseigentum betroffen ist. Mit der Klage verlangen die Kläger von dem Beklagten die Zahlung der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten ohne Umsatzsteuer in Höhe von 12.312,90 €; ferner soll festgestellt werden, dass der Beklagte weitere Schäden ersetzen muss. Das LG hat den Beklagten zur Zahlung von 7.972,68 € verurteilt und dem Feststellungsantrag stattgegeben; dabei hat es die Forderung, soweit sie Schäden am Gemeinschaftseigentum betrifft, auf den Kostenanteil der Kläger beschränkt. Das OLG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision, die das OLG im Hinblick auf die Schadensberechnung anhand „fiktiver“ Mängelbeseitigungskosten zugelassen hat, will der Beklagte die Abweisung der Klage insgesamt erreichen.
Der V. Zivilsenat hat wegen einer aus seiner Sicht bestehenden Divergenz der höchstrichterlichen Rechtsprechung beschlossen, eine Anfrage gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG an den u.a. für das Werkvertragsrecht zuständigen VII. Zivilsenat zu richten. Die Anfrage betrifft zwei Rechtsfragen. Zum einen wird angefragt, ob der VII. Zivilsenat an der in dem Urt. v. 22.02.2018 (VII ZR 46/17, BGHZ 218, 1 Rn. 31 ff.) vertretenen Rechtsauffassung festhält, wonach der „kleine“ Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 280, 281 Abs. 1 BGB nicht anhand der voraussichtlich erforderlichen, aber (noch) nicht aufgewendeten („fiktiven“) Mängelbeseitigungskosten berechnet werden darf. Zum anderen wird angefragt, ob der VII. Zivilsenat daran festhält, dass sich ein Schadensersatzanspruch des allgemeinen Leistungsstörungsrechts auf Vorfinanzierung „in Form der vorherigen Zahlung eines zweckgebundenen und abzurechnenden Betrags“ richten kann (Urt. v. 22.02.2018 – VII ZR 46/17, a.a.O. Rn. 67 zu § 280 Abs. 1 BGB). (BGH, Beschl. v. 13.03.2020 – V ZR 33/19)

Abstract: Um eine Divergenz hinsichtlich der Frage zu klären, ob Käufer einer Eigentumswohnung von dem Verkäufer Schadensersatz wegen Feuchtigkeit in der Wohnung verlangen und ihre Forderung anhand der voraussichtlich entstehenden, aber bislang nicht aufgewendeten („fiktiven“) Mängelbeseitigungskosten berechnen können, hat der V. Zivilsenat den VII. Zivilsenat angerufen.

Steuerrecht

Externe Datenschutzbeauftragte sind gewerbliche Unternehmer
Der Kläger war als selbstständiger Rechtsanwalt im Bereich des IT-Rechts tätig. Daneben arbeitete er für verschiedene größere Unternehmen als externer Datenschutzbeauftragter. Das Finanzamt sah diese Tätigkeit als gewerblich an. Es setzte Gewerbesteuer fest und forderte den Kläger als gewerblichen Unternehmer gem. § 141 AO auf, ab dem Folgejahr Bücher zu führen und Abschlüsse zu machen. Der gegen diese Aufforderung aus dem Jahr 2012 gerichtete Einspruch des Klägers blieb ebenso wie die nachfolgende Klage vor dem Finanzgericht ohne Erfolg.
Der BFH hat das bestätigt. Als Datenschutzbeauftragter übe der Kläger keine dem Beruf des Rechtsanwaltes vorbehaltene Tätigkeit aus. Vielmehr werde er in einem eigenständigen, von seiner Anwaltstätigkeit abzugrenzenden Beruf tätig. Der Datenschutzbeauftragte berate in interdisziplinären Wissensgebieten. Hierfür müsse er zwar neben datenschutzrechtlichem Fachwissen auch Fachwissen in anderen Bereichen (z.B. der Informations- und Kommunikationstechnik und der Betriebswirtschaft) besitzen. Eine spezifische akademische Ausbildung müsse er aber – anders als der Rechtsanwalt – nicht nachweisen. Aus diesem Grunde sei der Kläger als Datenschutzbeauftragter auch nicht in einem dem Rechtsanwalt ähnlichen Beruf tätig. Schließlich sei auch keine sonstige selbstständige Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG anzunehmen. Es fehle an der erforderlichen Vergleichbarkeit mit den dort genannten Regelbeispielen. (BFH, Urt. v. 14.01.2020 – VIII R 27/17)

Abstract: Ein externer Datenschutzbeauftragter ist gewerblicher Unternehmer, auch wenn er zugleich als Rechtsanwalt tätig ist. Es liegt keine freiberufliche Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 EStG vor. Der externe Datenschutzbeauftragte ist daher gewerbesteuerpflichtig und – bei Überschreiten bestimmter Gewinngrenzen – auch buchführungspflichtig.

Arbeitsrecht

Vergütung von Fahrtzeiten für einen Außendienstmitarbeiter
Der Kläger ist bei der Beklagten als Servicetechniker im Außendienst tätig. Die Beklagte ist aufgrund Mitgliedschaft im vertragschließenden Arbeitgeberverband an die Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen gebunden. Kraft dynamischer Bezugnahme im Arbeitsvertrag finden diese Tarifverträge auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. In einer Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 2001 (BV) ist zu § 8 geregelt, dass Anfahrtszeiten zum ersten und Abfahrtszeiten vom letzten Kunden nicht zur Arbeitszeit zählen, wenn sie 20 Minuten nicht überschreiten. Sofern An- und Abreise länger als jeweils 20 Minuten dauern, zählt die 20 Minuten übersteigende Fahrtzeit zur Arbeitszeit. In das für den Kläger geführte Arbeitszeitkonto hat die Beklagte Reisezeiten von dessen Wohnung zum ersten Kunden und vom letzten Kunden nach Hause bis zu einer Dauer von jeweils 20 Minuten nicht als Zeiten geleisteter Arbeit eingestellt. Sie leistete hierfür auch keine Vergütung. Mit seiner Klage hat der Kläger verlangt, seinem Arbeitszeitkonto Fahrtzeiten für März bis August 2017 im Umfang von 68 Stunden und 40 Minuten gutzuschreiben, hilfsweise an ihn 1.219,58 € brutto nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, ein solcher Anspruch sei durch § 8 BV wirksam ausgeschlossen. ArbG und LAG haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte Erfolg. Mit den Fahrten von seiner Wohnung zum ersten Kunden und vom letzten Kunden zurück erfüllt der Kläger seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung. Ein daraus resultierender Vergütungsanspruch wird durch § 8 BV nicht ausgeschlossen. Die Bestimmung regelt die Vergütung der Arbeitszeit, indem sie die An- und Abfahrtszeiten zum ersten bzw. vom letzten Kunden – soweit sie 20 Minuten nicht übersteigen – von der Vergütungspflicht ausschließt. § 8 BV betrifft damit entgegen der Auffassung des LAG einen tariflich geregelten Gegenstand. Nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag (MTV) sind sämtliche Tätigkeiten, die ein Arbeitnehmer in Erfüllung seiner vertraglichen Hauptleistungspflicht erbringt, mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten. Dazu gehört bei Außendienstmitarbeitern die gesamte für An- und Abfahrten zum Kunden aufgewendete Fahrtzeit. Da der MTV keine Öffnungsklausel zugunsten abweichender Betriebsvereinbarungen enthält, ist § 8 BV wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Arbeitsentgelte, die durch Tarifvertrag geregelt sind, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist nicht wegen des Eingreifens eines Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 BetrVG aufgehoben. Auf Grund der Bindung der Beklagten an die fachlich einschlägigen Tarifverträge des Groß- und Außenhandels Niedersachsen, welche die Vergütung für geleistete Arbeit auch in Bezug auf Fahrtzeiten der Außendienstmitarbeiter abschließend regeln, besteht insoweit schon nach § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Der Kläger kann somit von der Beklagten die Gutschrift der umstrittenen Fahrtzeiten verlangen, soweit unter ihrer Berücksichtigung die vertraglich geschuldete regelmäßige Arbeitszeit überschritten wurde. Ob dies der Fall ist, konnte der Senat mangels hinreichender Feststellungen des LAG nicht abschließend entscheiden. Die Sache ist deshalb unter Aufhebung des Berufungsurteils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen worden. Die vom Berufungsgericht erörterte Frage der Betriebsvereinbarungsoffenheit der arbeitsvertraglichen Vereinbarung stellt sich nicht, da die Betriebsparteien mit der Regelung zur Vergütung der Fahrtzeiten in der BV die Binnenschranken der Betriebsverfassung nicht beachtet haben und die BV aus diesem Grunde insoweit unwirksam ist. (BAG, Urt. v. 18.03.2020 – 5 AZR 36/19)

Abstract: Regelungen in einer Betriebsvereinbarung, welche die vergütungspflichtigen Fahrtzeiten eines Außendienstmitarbeiters verkürzen, sind wegen Verstoßes gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam, wenn die betreffenden Zeiten nach den Bestimmungen des einschlägigen Tarifvertrags uneingeschränkt der entgeltpflichtigen Arbeitszeit zuzurechnen und mit der tariflichen Grundvergütung abzugelten sind.

Zivilrecht

Dieselskandalverfahren zugunsten des Käufers
Der Kläger verlangt von der Volkswagen AG als Herstellerin Schadenersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines gebrauchten Dieselfahrzeugs. Am 09.08.2014 erwarb er einen Pkw VW Golf zu einem Kaufpreis von 13.300 € als Gebrauchtwagen. Das in die Schadstoffklasse Euro-5 eingestufte Fahrzeug verfügt über einen Motor des Typs EA 189. Dieser war mit einer Software ausgestattet, die unterscheiden konnte, ob das Fahrzeug einen Prüfstandlauf durchfährt oder aber im normalen Straßenverkehr bewegt wird. Nur im Prüfstandlauf lief der Motor in einem Modus, bei dem die Schadstoffgrenzwerte der EURO-Norm 5 in den in die Umgebungsluft abgegebenen Abgasen eingehalten wurden. Konnte die Software hingegen erkennen, dass sich das Fahrzeug im normalen Straßenverkehr bewegt, wurde das Abgasrückführungssystem in einen Modus mit einer geringeren Abgasrückführungsrate geschaltet, die der Euro-5-Abgasnorm widersprach. Das Kraftfahrtbundesamt (KBA) ordnete mit Bescheid vom 15.10.2015 den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge an, worauf der Kläger zur Herstellung der Euro-5-Abgasnorm ein Software-Update einspielen ließ. Der Kläger hatte beim LG auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs geklagt und vorgetragen, die Beklagte habe wegen der Verwendung der Abschaltsoftware vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt. Er sei von ihr arglistig getäuscht worden. Das LG hatte der Klage überwiegend stattgegeben und die Beklagte wegen sittenwidriger Schädigung verurteilt, an den Kläger 8.181,40 € Zug um Zug gegen Rückübereignung des VW Golf zu zahlen. Allerdings müsse sich der Kläger die in der Besitzzeit gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Dadurch verminderte sich sein Rückzahlungsanspruch. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien wechselseitig Berufung eingelegt.
Das OLG hat ebenso einen Schadenersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagte aus § 826 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung bejaht. Nach seiner Auffassung haftet die Beklagte als Herstellerin dafür, dass sie einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Dieselmotor produziert, eingebaut und in den Verkehr gebracht hat. Allein schon die Tatsache, dass das Fahrzeug mit einem Motor versehen wurde, der nur auf dem Prüfstand einen normgerechten Schadstoffausstoß aufwies, während aufgrund einer „Abschalteinrichtung“ im Normalbetrieb die Normwerte nicht erreicht wurden, zeige die auf Täuschung angelegte Konzeption. Der Schaden des Klägers bestehe darin, dass dieser, als er das Fahrzeug erwarb, mit einer ungewollten Kaufverbindlichkeit überzogen wurde, die ihm auch einen wirtschaftlich relevanten Nachteil brachte. Denn mit dem Kauf ging er gegen seinen Willen das Risiko einer öffentlich-rechtlichen Nutzungsuntersagung ein. Bei gehöriger Aufklärung über die Zusammenhänge hätte der Kläger von seiner Kaufentscheidung abgesehen. Der Schaden falle auch mit dem späteren Aufspielen eines Software-Update nicht weg. Die Möglichkeit, nachteiliger Auswirkungen auf das Fahrzeug sei nicht ausgeräumt. Das Täuschungsvorgehen der Beklagten war nach Auffassung des OLG auch sittenwidrig. Dabei sei besonders gravierend, dass VW in einem breit angelegten jahrelangen systematischen Manöver aus Streben nach Gewinnmaximierung und Wettbewerbsvorteilen eine hohe Zahl von Käufern täuschte, einen entsprechend exorbitanten Schaden herbeiführte und darüber hinaus das bislang hohe Vertrauen des Verkehrs in die Marke Volkswagen missbrauchte. Dass sich im konkreten Fall die Täuschung „nur“ auf dem Gebrauchtwagenmarkt ausgewirkt habe, spiele dabei keine Rolle. Der weite Kreis der Gebrauchtwagenkäufer sei in gleicher Weise wie die Erstkäufer betroffen. Das Verhalten der Beklagten sei als vorsätzlich und in Hinblick auf den Schaden als leichtfertig einzustufen. Dafür sei auf ihre verfassungsmäßig berufenen Vertreter abzustellen. Der Kläger müsse die handelnden Organe und Personen nicht konkret benennen. Allerdings kann die Klägerseite, wie das OLG erläutert, nicht die Rückerstattung des gesamten Kaufpreises verlangen. Der Kläger, der mit dem Fahrzeug bis zum letzten Gerichtstermin 77.605 km gefahren ist, muss sich vielmehr seine Nutzungsvorteile anrechnen lassen. Um diese zu berechnen, hat das OLG im Wege der Schätzung als angemessenen Durchschnittswert eine hypothetische Gesamtlaufleistung von 300.000 km zugrunde gelegt. Anschaffungskaufpreis und gefahrene Kilometer fließen zusätzlich in die Berechnung ein. Zusätzlich zu der Rückerstattung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs kann der Kläger Zinsen ab Zahlungsverzug der Beklagten verlangen. Dagegen gibt es die Zinsen allerdings nicht, so wie es der Kläger verlangt hatte, schon ab dem Kaufzeitpunkt. Denn hierfür fehlt es nach Auffassung des OLG an einer gesetzlichen Grundlage. Im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Sache und die noch bestehenden unterschiedlichen Auffassungen zu einigen Rechtsfragen in der obergerichtlichen Rechtsprechung hat das OLG die Revision zum BGH zugelassen. (OLG Bremen, Urt. v. 06.03.2020 – 2 U 91/19, nrkr.)

Abstract: Der Konzern VW haftet als Hersteller dafür, dass sie einen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Dieselmotor produziert, in ein Fahrzeug eingebaut und in den Verkehr gebracht hat. Das war auch sittenwidrig. Besonders gravierend ist, dass VW in einem breit angelegten jahrelangen systematischen Manöver aus Streben nach Gewinnmaximierung und Wettbewerbsvorteilen eine hohe Zahl von Käufern täuschte, einen entsprechend exorbitanten Schaden herbeiführte und darüber hinaus das bislang hohe Vertrauen des Verkehrs in die Marke Volkswagen missbrauchte.