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WBP NEWS

Online-News für den 01.10.2018

Arbeitsrecht

EuGH stärkt Arbeitnehmerrechte von schwangeren und stillenden Frauen
Frau Isabel González Castro ist als Sicherheitsbedienstete bei Prosegur España SL beschäftigt. Im November 2014 brachte sie einen Jungen zur Welt, den sie stillte. Seit März 2015 geht Frau González Castro ihrer Tätigkeit in variablen achtstündigen Wechselschichten, von denen ein Teil in den Nachstunden liegt, in einem Einkaufszentrum nach. Frau González Castro wollte erreichen, dass ihr Arbeitsverhältnis ruht und ihr die nach spanischem Recht vorgesehene Geldleistung wegen Risiken während der Stillzeit gewährt wird. Zu diesem Zweck beantragte sie bei Mutua Umivale (eine private Berufsgenossenschaft ohne Gewinnerzielungsabsicht, bei der die Berufsrisiken versichert sind), ihr ein ärztliches Attest über das Vorliegen eines ihrem Arbeitsplatz innewohnenden Risikos für die Stillzeit auszustellen. Nachdem ihr Antrag abgelehnt worden war, legte Frau González Castro Widerspruch ein, der zurückgewiesen wurde. Daraufhin erhob sie gegen diese Zurückweisung Klage beim Tribunal Superior de Justicia de Galicia (Obergericht Galizien, Spanien).
Die Richtlinie 92/85 über die Sicherheit und den Gesundheitsschutz von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen bestimmt u. a., dass diese Arbeitnehmerinnen während ihrer Schwangerschaft und einem bestimmten Zeitraum nach der Entbindung nicht zu Nachtarbeit verpflichtet werden dürfen, vorbehaltlich eines vorzulegenden ärztlichen Attestes, in dem die entsprechende Notwendigkeit im Hinblick auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz bestätigt wird. Die Richtlinie 2006/54 über die Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen2 sieht ihrerseits eine Beweislastumkehr vor. So obliegt es dann, wenn Personen, die sich durch die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert halten und bei einem Gericht bzw. einer anderen zuständigen Stelle Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung vermuten lassen, dem Beklagten, zu beweisen, dass keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorgelegen hat. In diesem Zusammenhang hat das Tribunal Superior de Justicia de Galicia beschlossen, dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen. Es stellt sich zum einen die Frage, wie der Begriff „Nachtarbeit“ im Sinne der Richtlinie 92/85 auszulegen ist, wenn Nachtarbeit mit Schichtarbeit kombiniert wird. Zum anderen sei die Beurteilung der Risiken, die der Arbeitsplatz von Frau González Castro beinhalte, möglicherweise nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden und es liege in Wirklichkeit ein Risiko für ihre Gesundheit oder ihre Sicherheit vor. Daher fragt sich das Tribunal Superior de Justicia de Galicia, ob in diesem Zusammenhang die in der Richtlinie 2006/54 vorgesehenen Regeln über die Beweislastumkehr Anwendung finden. Sollte dies bejaht werden, möchte das vorlegende Gericht weiter wissen, ob der Nachweis dafür, dass die Umgestaltung der Arbeitsbedingungen oder ein Arbeitsplatzwechsel der betroffenen Arbeitnehmerin technisch oder sachlich nicht möglich oder nicht zumutbar ist, der betroffenen Arbeitnehmerin oder dem Beklagten, entweder dem Arbeitgeber oder der Einrichtung, die für die Zahlung der Geldleistung wegen Risiken während der Stillzeit verantwortlich ist, obliegt.
Mit seinem Urteil vom 19.09.2018 entscheidet der Gerichtshof erstens, dass die Richtlinie 92/85 auf eine Situation Anwendung findet, in der die betroffene Arbeitnehmerin Schichtarbeit leistet, in deren Rahmen sie ihre Arbeit nur zum Teil während der Nachtzeit verrichtet. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Richtlinie 92/85 keine nähere Angabe zur genauen Tragweite des Begriffs „Nachtarbeit“ enthält. Er weist darauf hin, dass sich aus den allgemeinen Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 über die Arbeitszeitgestaltung ergibt, dass eine Arbeitnehmerin, die Schichtarbeit leistet, in deren Rahmen sie ihre Arbeit nur zum Teil während der Nachtzeit verrichtet, als während der „Nachtzeit“ arbeitend anzusehen und daher als „Nachtarbeiter“ einzustufen ist. Die besonderen Bestimmungen der Richtlinie 92/85 dürfen weder ungünstiger ausgelegt werden als die allgemeinen Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 noch entgegen der Zielsetzung der Richtlinie 92/85 interpretiert werden, die darin besteht, den Schutz für schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen zu verstärken. Damit der betroffenen Arbeitnehmerin dieser Schutz im Rahmen der Nachtarbeit zuteilwird, muss sie ein ärztliches Attest vorlegen, in dem die entsprechende Notwendigkeit im Hinblick auf ihre Sicherheit und den Schutz ihrer Gesundheit bestätigt wird. Es ist Sache des Tribunal Superior de Justicia de Galicia, zu prüfen, ob dies vorliegend der Fall ist.
Zweitens entscheidet der Gerichtshof, dass die in der Richtlinie 2006/54 vorgesehenen Regeln über die Umkehr der Beweislast auf eine Situation wie die von Frau González Castro Anwendung finden, wenn die betroffene Arbeitnehmerin Tatsachen vorbringt, die vermuten lassen, dass die Beurteilung der Risiken, die ihr Arbeitsplatz beinhaltet, keine spezifische Prüfung unter Berücksichtigung ihrer individuellen Situation umfasst hat, was daher den Schluss auf das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne dieser Richtlinie zulässt. Der Gerichtshof führt in diesem Zusammenhang aus, dass aufgrund dessen, dass schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen, die Nacharbeit verrichten, nach der Richtlinie 92/85 einen verstärkten Schutz gegen das besondere Risiko, das eine solche Arbeit beinhalten kann, genießen, die Beurteilung der Risiken des Arbeitsplatzes dieser Arbeitnehmerinnen nicht weniger strengen Anforderungen unterliegen kann als denen, die im Rahmen der in dieser Richtlinie geschaffenen allgemeinen Regelung gelten, in der niedergelegt ist, welche Maßnahmen in Bezug auf alle Tätigkeiten zu ergreifen sind, bei denen ein spezifisches Risiko für diese Arbeitnehmerinnen bestehen kann. Diese Beurteilung muss eine spezifische Prüfung unter Berücksichtigung der individuellen Situation der betroffenen Arbeitnehmerin umfassen, um zu ermitteln, ob ihre Gesundheit oder Sicherheit oder die Gesundheit oder Sicherheit ihres Kindes einem Risiko ausgesetzt sind. Anderenfalls würde eine Frau im Zusammenhang mit Schwangerschaft oder Mutterschaftsurlaub im Sinne der Richtlinie 92/85 ungünstiger behandelt; dies würde eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne der Richtlinie 2006/54 darstellen, was die Umkehr der Beweislast zulässt. Der Gerichtshof führt aus, dass die Risikobeurteilung des Arbeitsplatzes von Frau González Castro dem Anschein nach keine solche Prüfung umfasst hat und die Betroffene offenbar diskriminiert worden ist. Es ist Sache des Tribunal Superior de Justicia de Galicia, zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist. Sollte dies bejaht werden, obliegt es dem Beklagten, das Gegenteil zu beweisen. (EuGH, Urteilv. 19.09.2018 – C-41/17)

Abstract: Schwangere Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillende Arbeitnehmerinnen, die Schichtarbeit verrichten, die zum Teil in den Nachtstunden stattfindet, sind als Nachtarbeit leistend anzusehen und fallen unter den besonderen Schutz gegen die Risiken, die diese Arbeit beinhalten kann.

Steuerrecht

Verlustberücksichtigung bei Aktienveräußerung
Der Kläger hatte in den Jahren 2009 und 2010 Aktien zum Preis von 5.759,78 € erworben und diese im Jahr 2013 zu einem Gesamtverkaufspreis von 14 € an eine Sparkasse wieder veräußert, die Transaktionskosten in dieser Höhe einbehielt. In seiner Einkommensteuererklärung 2013 machte der Kläger den Verlust in Höhe von 5.759,78 € bei den Einkünften aus Kapitalvermögen geltend und stellte u.a. den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts gemäß § 32d Abs. 4 EStG. Das Finanzamt berücksichtigte die Verluste nicht. Den Einspruch des Klägers wies es als unbegründet zurück. Der dagegen gerichteten Klage gab das Finanzgericht statt.
Dem folgte der BFH. Er entschied, dass jede entgeltliche Übertragung des – zumindest wirtschaftlichen – Eigentums auf einen Dritten eine Veräußerung i.S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG darstellt. Weitere Tatbestandsmerkmale nennt das Gesetz nicht. Die Erfüllung des Tatbestands der Veräußerung ist entgegen der Sichtweise der Finanzverwaltung weder von der Höhe der Gegenleistung noch von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten abhängig. Auch einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 der Abgabenordnung verneinte der BFH. Der Kläger hat nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht. Es steht grundsätzlich im Belieben des Steuerpflichtigen, ob, wann und mit welchem erzielbaren Ertrag er Wertpapiere erwirbt und wieder veräußert. Dass der Kläger keine Steuerbescheinigung der Sparkasse über den entstandenen Verlust vorlegen konnte (vgl. § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG), stand der Verlustverrechnung nach der bereits gefestigten Rechtsprechung des Senats nicht entgegen. Die Bescheinigung ist entbehrlich, wenn – wie vorliegend – keine Gefahr der Doppelberücksichtigung des Verlusts besteht. Der BFH hat damit weitere Zweifelsfragen im Zusammenhang mit der Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge geklärt. Wie die bloße Ausbuchung von wertlos gewordenen Aktien aus dem Wertpapierdepot des Steuerpflichtigen steuerrechtlich zu beurteilen ist, hat der BFH mangels Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Urteil dagegen (noch) offengelassen. (BFH, Urt. v. vom 12.06.2018 – VIII R 32/16)

Abstract: Die steuerliche Berücksichtigung eines Verlusts aus der Veräußerung von Aktien hängt nicht von der Höhe der anfallenden Veräußerungskosten ab. Dies gilt unabhängig von der Höhe der Gegenleistung und der anfallenden Veräußerungskosten.

Arbeitsrecht

Arbeitsvertragliche Ausschlussfrist beim Mindestlohn
Der Kläger war beim Beklagten als Fußbodenleger beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 01.09.2015 ist u.a. geregelt, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind. Nachdem der Beklagte das Arbeitsverhältnis gekündigt hatte, schlossen die Parteien im Kündigungsrechtsstreit einen Vergleich, dem zufolge das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 15.08.2016 endete und in dem sich der Beklagte u.a. verpflichtete, das Arbeitsverhältnis bis zum 15.09.2016 ordnungsgemäß abzurechnen. Die vom Beklagten erstellte und dem Kläger am 06.10.2016 zugegangene Abrechnung für August 2016 wies keine Urlaubsabgeltung aus. In dem vom Kläger am 17.01.2017 anhängig gemachten Verfahren hat sich der Beklagte darauf berufen, der Anspruch auf Urlaubsabgeltung sei verfallen, weil der Kläger ihn nicht rechtzeitig innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht habe. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat sie auf die Berufung des Beklagten abgewiesen.
Die Revision des Klägers hatte Erfolg und führte zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Kläger hat nach § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf die Abgeltung von 19 Urlaubstagen mit 1.687,20 € brutto. Er musste den Anspruch nicht innerhalb der vertraglichen Ausschlussfrist geltend machen. Die Ausschlussklausel verstößt gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie ist nicht klar und verständlich, weil sie entgegen § 3 Satz 1 MiLoG den ab dem 01.01.2015 zu zahlenden gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnimmt. Die Klausel kann deshalb auch nicht für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung aufrechterhalten werden (§ 306 BGB). § 3 Satz 1 MiLoG schränkt weder seinem Wortlaut noch seinem Sinn und Zweck nach die Anwendung der §§ 306, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ein. (BAG. Urt. v. 18.09.2018 – 9 AZR 162/18)

Abstract: Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die ohne jede Einschränkung alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den ab dem 01.01.2015 von § 1 MiLoG garantierten Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist – jedenfalls dann – insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31.12.2014 geschlossen wurde.

Mietrecht

Fristlose Kündigung eines Wohnraummietverhältnisses kann mit hilfsweise erklärter ordentlicher Kündigung verbunden werden
In beiden Verfahren hatten die Beklagten, Mieter von Wohnungen in Berlin, jeweils die von ihnen geschuldeten Mieten in zwei aufeinander folgenden Monaten nicht entrichtet. Hierauf haben die jeweiligen Kläger als Vermieter die fristlose und zugleich hilfsweise die fristgerechte Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs erklärt. In beiden Fällen beglichen die Beklagten nach Zugang der Kündigung die aufgelaufenen Zahlungsrückstände. Das Berufungsgericht hat die jeweils von den Vermietern erhobenen Räumungsklagen abgewiesen. Zwar seien die Vermieter aufgrund der gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a BGB wirksamen außerordentlichen fristlosen Kündigungen zunächst berechtigt gewesen, die Räumung und Herausgabe der betreffenden Mietwohnungen zu verlangen. Diese Ansprüche seien jedoch wegen des jeweils noch vor Klageerhebung erfolgten vollständigen Ausgleichs der Zahlungsrückstände nach Maßgabe der Vorschrift des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB nachträglich erloschen (sog. Schonfristzahlung). Die daneben – von den Amtsgerichten in beiden Verfahren noch als wirksam erachteten – hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen (§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 573c BGB) gingen demgegenüber „ins Leere“, weil das jeweilige Mietverhältnis bereits durch den Zugang der wirksam ausgesprochenen außerordentlichen fristlosen Kündigung ein sofortiges Ende gefunden habe. Die rechtzeitig erfolgte Schonfristzahlung gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB habe zwar dazu geführt, dass die durch die fristlose Kündigung ausgelösten Herausgabe- und Räumungsansprüche erloschen seien. Es bleibe aber gleichwohl dabei, dass im Zeitraum zwischen Zugang der Kündigungserklärung und Eingang der Schonfristzahlung ein Mietverhältnis, welches noch ordentlich unter Einhaltung einer Kündigungsfrist hätte gekündigt werden können, aufgrund der Gestaltungswirkung der fristlosen Kündigung nicht mehr bestanden habe. Mit den – vom Berufungsgericht zugelassenen – Revisionen verfolgten die Kläger ihre Räumungsklagen jeweils weiter.
Der BGH hat klargestellt, dass auch eine hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs zur Beendigung eines Mietverhältnisses nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist führen kann, wenn die durch den Vermieter unter Berufung auf denselben Sachverhalt vorrangig erklärte und zunächst auch wirksame fristlose Kündigung durch eine vom Mieter nach Zugang der Kündigungserklärung vorgenommene Schonfristzahlung nachträglich unwirksam wird. Von diesem Verständnis ist der Senat – ebenso wie die Instanzrechtsprechung – stets ausgegangen. Ein vom Mieter herbeigeführter Ausgleich der Rückstände gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB lässt die durch eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Buchst. a BGB) mit ihrem Zugang herbeigeführte sofortige Beendigung des Mietverhältnisses nachträglich rückwirkend entfallen. Die Regelung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB beschränkt sich entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht darauf, lediglich Ansprüche auf Räumung und Herausgabe der Mietsache nachträglich zum Erlöschen zu bringen. Vielmehr hat der Gesetzgeber gewährleisten wollen, dass die wirksam ausgeübte fristlose Kündigung unter den dort genannten Voraussetzungen trotz ihrer Gestaltungswirkung rückwirkend als unwirksam gilt und der Mietvertrag fortgesetzt wird. In einer solchen Situation kommt eine gleichzeitig mit einer fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zur Geltung. Denn ein Vermieter, der neben einer fristlosen Kündigung hilfsweise oder vorsorglich eine ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen eines aufgelaufenen Zahlungsrückstands ausspricht, erklärt diese nicht nur für den Fall einer bereits bei Zugang des Kündigungsschreibens gegebenen Unwirksamkeit der vorrangig erfolgten fristlosen Kündigung. Vielmehr bringt er damit aus objektiver Mietersicht regelmäßig weiterhin zum Ausdruck, dass die ordentliche Kündigung auch dann zum Zuge kommen soll, wenn die zunächst wirksam erklärte fristlose Kündigung aufgrund eines gesetzlich vorgesehenen Umstands wie einer unverzüglichen Aufrechnung durch den Mieter (§ 543 Abs. 2 Satz 3 BGB), einer sog. Schonfristzahlung oder einer Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB) nachträglich unwirksam wird. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat eine Schonfristzahlung oder Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle also nicht zur Folge, dass eine mit der fristlosen Kündigung wegen Zahlungsverzugs gleichzeitig hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung „ins Leere“ ginge. Indem das Berufungsgericht allein darauf abgestellt hat, dass eine in materieller und formeller Hinsicht wirksam erklärte fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs das Mietverhältnis (zunächst) auflöst, hat es die bei der Auslegung einer Kündigungserklärung zu beachtenden rechtlichen Zusammenhänge (insbesondere Wirkung des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB) außer Acht gelassen und einen einheitlichen natürlichen Lebenssachverhalt (Zahlungsverzug, Kündigung, nachträgliche Befriedigung des Vermieters), auf den sich die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung bei vernünftiger lebensnaher und objektiver Betrachtung stützt, künstlich in einzelne Bestandteile aufgespalten. Aus den vorgenannten Gründen hat der Senat die Berufungsurteile in beiden Verfahren aufgehoben und die Sachen jeweils zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit dieses nunmehr Feststellungen dazu treffen kann, ob die jeweils hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen die gesetzlichen Anforderungen für das Vorliegen eines Kündigungsgrunds erfüllen und ob gegebenenfalls der kurze Zeit nach Zugang der Kündigung erfolgte Ausgleich der Rückstände bei tatrichterlicher Würdigung der konkreten Einzelfallumstände die Berufung auf die ordentlichen Kündigungen als treuwidrig erscheinen lässt. (BGH, Urt. v. 19.09. 2018 – VIII ZR 231/17 und VIII ZR 261/17)

Abstract: Der BGH hat klargestellt, dass auch eine hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs zur Beendigung eines Mietverhältnisses nach Ablauf der gesetzlichen Kündigungsfrist führen kann, wenn die durch den Vermieter unter Berufung auf denselben Sachverhalt vorrangig erklärte und zunächst auch wirksame fristlose Kündigung durch eine vom Mieter nach Zugang der Kündigungserklärung vorgenommene Schonfristzahlung nachträglich unwirksam wird.