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WBP NEWS

Online-News für den 15.05.2020

Zivilrecht

Bei Hilfe für Dritte darf kein unverhältnismäßiges Risiko eingegangen werden
Die Klägerin ist eine über 70jährige Frau. Nach dem Inhalt ihrer Klage war sie im Februar 2019 bei ihrer Tochter zu Besuch, als der hinter dem Grundstück der Tochter verlaufende Bach überzulaufen drohte. Dies sei auf Reisig zurückzuführen gewesen, das den Bachlauf an einer Stelle verstopft habe, an der der Bach in einem Rohr unter einem Feldweg hindurchgeführt wird. Die Klägerin habe daraufhin erfolglos versucht, den für den Bach verantwortlichen öffentlich-rechtlichen Wasserverband – die Beklagte – zu erreichen. Bereits früher habe es Überschwemmungen gegeben, bei denen Wasser in den Keller des Wohnhauses gelaufen sei. Daher habe die Klägerin versucht, die Verstopfung selbst zu beseitigen. Dabei sei sie in den Bach gefallen. Sie habe sich eine Schnittwunde zugezogen sowie ihre Brille verloren. Die Klägerin hat daraufhin die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz – insgesamt rund 2.000 € – in Anspruch genommen. Sie hat die Klage rechtlich auf die sog. „Geschäftsführung ohne Auftrag“ gestützt.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Das OLG hat das Rechtsmittel mit Beschluss zurückgewiesen. Die Klägerin sei, so das OLG, nicht im Interesse der Beklagten tätig geworden sei. Sie habe zwar hoheitliche Aufgaben der Beklagten wahrgenommen, indem sie eine Verstopfung des überlaufenden Baches zu lösen versucht habe. Es sei jedoch nach objektiven Kriterien zu beurteilen, ob die Klägerin im Interesse der Beklagten gehandelt habe. Dabei sei zu berücksichtigen, ob die Vorteile für die Beklagte die anfallenden Kosten und die drohenden Risiken überwögen. Unsachgemäße und überflüssige Maßnahmen lägen nicht im Interesse der Beklagten. Davon sei aber im vorliegenden Fall auszugehen. Mit dem Versuch der über 70-jährigen Klägerin, eigenhändig eine Verstopfung der Bachverrohrung zu beseitigen sei diese ein unverhältnismäßig hohes Risiko für ihre körperliche Unversehrtheit eingegangen. Dies habe nicht im objektiven Interesse der Beklagten gelegen. (OLG Köln, Beschl. v. 11.02.2020 – 7 U 311/19)

Abstract: Nimmt jemand fremde Aufgaben wahr, kann er einen hieraus entstehenden Schaden jedenfalls dann nicht ersetzt verlangen, wenn das Verhältnis zwischen dem Anlass für das Verhalten und dem dabei eingegangenen Risiko unangemessen ist.

Steuerrecht

Verluste aus dem entschädigungslosen Entzug von Aktien können steuerlich geltend gemacht werden
Die Klägerin hatte am 14.02.2011 und am 16.01.2012 insgesamt 39.000 Namensaktien einer inländischen AG zu einem Gesamtkaufpreis von 36.262,77 € erworben. Im Streitjahr 2012 wurde über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet. In einem vom Insolvenzgericht genehmigten Insolvenzplan wurde gemäß § 225a Abs. 2 InsO das Grundkapital der AG auf Null herabgesetzt und eine Kapitalerhöhung beschlossen, für die ein Bezugsrecht der Klägerin und der übrigen Altaktionäre ausgeschlossen wurde. Der börsliche Handel der Altaktien wurde eingestellt. Da die Klägerin für den Untergang ihrer Aktien keinerlei Entschädigung erhielt, entstand bei ihr ein Verlust in Höhe ihrer ursprünglichen Anschaffungskosten. Das Finanzamt weigerte sich, diesen Verlust zu berücksichtigen.
Das sah der BFH anders und gab der Klägerin Recht. Er beurteilte den Entzug der Aktien in Höhe von 36.262,77 € als steuerbaren Aktienveräußerungsverlust. Dieser Verlust sei nach den Beteiligungsquoten auf die Gesellschafter der Klägerin zu verteilen. Der Untergang der Aktien stelle keine Veräußerung dar und werde auch sonst vom Steuergesetz nicht erfasst. Das Gesetz weise insoweit aber eine planwidrige Regelungslücke auf, die im Wege der Analogie zu schließen sei. Die in § 225a InsO geregelte Sanierungsmöglichkeit sei erst später eingeführt worden, ohne die steuerliche Folgen für Kleinanleger wie die Klägerin zu bedenken. Es widerspreche den Vorgaben des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes in seiner Konkretisierung durch das Leistungsfähigkeits- und Folgerichtigkeitsprinzip, wenn der von der Klägerin erlittene Aktienverlust steuerlich nicht berücksichtigt werde, wirtschaftlich vergleichbare Verluste (z.B. aufgrund eines Squeeze-Out oder aus einer Einziehung von Aktien durch die AG) aber schon. (BFH, Urt. v. 03.12.2019 – VIII R 34/16)

Abstract: Werden (nach dem 31.12.2008 erworbene) Aktien einem Aktionär ohne Zahlung einer Entschädigung entzogen, indem in einem Insolvenzplan das Grundkapital einer Aktiengesellschaft (AG) auf Null herabgesetzt und das Bezugsrecht des Aktionärs für eine anschließende Kapitalerhöhung ausgeschlossen wird, erleidet der Aktionär einen Verlust, der in entsprechender Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG steuerlich geltend gemacht werden kann.

Zivilrecht (Arbeitnehmer)

Arbeitnehmer erhält Darlehensstundung aufgrund des Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Eilrechtsschutz
Die Bank hatte dem Arbeitnehmer die Geschäftsbeziehung gekündigt und ihn zur Rückzahlung seiner Kontoüberziehung bis zum 08.04.2020 aufgefordert. Im Zuge der Coronavirus-Pandemie ist auch der Arbeitnehmer von Kurzarbeit betroffen und hat deshalb derzeit geringere Einnahmen. Nachdem die Bank seine Bitte um Gewährung einer verlängerten Rückzahlungsfrist abgelehnt hat, wandte er sich mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung an das Gericht.
Das AG hat dem Antrag weitgehend stattgegeben und seine Entscheidung auf das vor Kurzem in Kraft getretene Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie unter anderem im Zivilrecht gestützt. Danach werden aus vor dem 15.03.2020 abgeschlossenen Darlehensverträgen mit Verbrauchern Ansprüche des Darlehensgebers auf Rückzahlung, Zinsen und Tilgung, die zwischen dem 01.04. und dem 30.06.2020 fällig werden, für die Dauer von drei Monaten gestundet. Voraussetzung für die Stundung ist aber, dass der Verbraucher aufgrund der durch die Pandemie hervorgerufenen außergewöhnlichen Verhältnisse Einnahmeausfälle hat und ihm deshalb die Erbringung seiner Leistung nicht zumutbar ist. Der Antragsteller hat zum Nachweis dafür Unterlagen vorgelegt, weshalb das AG die Voraussetzungen als glaubhaft gemacht angesehen hat. Die vor Erlass der Entscheidung schriftlich angehörte Bank hat sich binnen einer ihr gesetzten Stellungnahmefrist nicht geäußert. (AG Frankfurt, Beschl. v. 08.04.2020 – 32 C 1631/20 (89); (nrkr.)

Abstract: Einem Arbeitnehmer kann eine verlängerte Rückzahlungsfrist seiner Kontoüberziehung nach dem Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie zugesprochen werden.

Verwaltungsrecht

Hausbesitzer muss wegen ungerechtfertigten Auslösens seiner Alarmanlage Gebühr für Polizeieinsatz zahlen
Der Kläger und seine Ehefrau waren verreist, als sie per SMS darüber benachrichtigt wurden, dass ihre erst kurz zuvor installierte Alarmanlage soeben ausgelöst hatte. Der Kläger rief daraufhin umgehend bei der örtlich zuständigen Polizeiinspektion an. Die Beamten schlugen vor, das Anwesen zu überprüfen, womit der Kläger einverstanden war. Nach Eintreffen an der Örtlichkeit konnten die Polizeibeamten jedoch weder Einbruchspuren noch sonstige Umstände feststellen, die das Auslösen der Alarmanlage verursacht haben könnten. Einen Monat später wurde der Kläger durch Kostenbescheid des Landes zur Zahlung einer Gebühr in Höhe von 171,00 € herangezogen. Hiergegen erhob der Kläger erfolglos Widerspruch und sodann Klage. Eine Gebühr könne von ihm nicht verlangt werden, weil Fenster und Türen seines Hauses ordnungsgemäß verschlossen gewesen seien. Selbst das Unternehmen, das die Anlage installiert habe, habe nicht feststellen können, warum die Alarmierung erfolgt sei. Ihm sei gar keine andere Möglichkeit geblieben, als die Polizei zu informieren. Dabei sei es seiner Frau und ihm in erster Linie darum gegangen, dass mögliche Täter gefasst würden. Im Übrigen habe er die Polizei nicht aufgefordert, sein Anwesen aufzusuchen; dies sei vielmehr auf Vorschlag der Beamten erfolgt.
Das VerwG hielt die Gebührenfestsetzung für rechtmäßig und wies die Klage ab. Das Besondere Gebührenverzeichnis sehe bei einer ungerechtfertigten Alarmierung durch eine Überfall-, Einbruch- oder Brandmeldeanlage eine Pauschalgebühr in Höhe von 171,00 € je Polizeieinsatz vor. Dabei gelte ein Alarm nach den einschlägigen Regelungen auch dann als ungerechtfertigt, wenn die Ursache für dessen Auslösung – wie hier – nicht feststellbar sei. Es sei nicht an der Polizei, den Nachweis der ungerechtfertigten Alarmierung zu führen. Die zugrunde liegenden Vorschriften seien rechtlich nicht zu beanstanden und mit höherrangigem Recht vereinbar. Insbesondere erfolge die Gebührenerhebung nicht willkürlich, da die Amtshandlung gerade zum Vorteil des Einzelnen vorgenommen werde. Durch die Installation der Einbruchmeldeanlage, die dem Schutz des Eigentums diene, entstehe eine besondere Beziehung zwischen dem Anlagenbesitzer und der kostenverursachenden Leistung. Zwar werde die Polizei in Fällen einer Alarmierung auch im öffentlichen Interesse an der Verhütung oder Verfolgung von Straftaten tätig. In erster Linie nehme sie die Amtshandlung aber im Interesse des Hausbesitzers vor, der den Einsatz durch die Installation der Anlage veranlasst habe. Der Umstand, dass der Kläger ein Ausrücken der Polizei hier nicht ausdrücklich verlangt habe, ändere daran nichts. Denn sein Anruf habe gerade den Zweck verfolgt, die Polizei um Schutz zu ersuchen. Ein Absehen von der Gebührenerhebung aus Billigkeitsgründen komme ebenfalls nicht in Betracht, weil sich ein in der Alarmanlage begründetes Risiko verwirklicht habe und es gerade Sinn und Zweck der Gebührenregelung sei, den Verursacher des Polizeieinsatzes zu Kosten heranzuziehen. (VG Koblenz, Urt. v. 15.04.2020 – 3 K 1063/19)

Abstract: Wer eine Alarmanlage an seinem Anwesen installiert, muss auch dann Gebühren für dadurch veranlasste Polizeieinsätze zahlen, wenn der Grund für das Auslösen der Anlage im Nachhinein nicht mehr feststellbar ist.