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WBP NEWS

Online-News für den 15.06.2021

Zivilrecht

Stärkerer Schutz alter und am Wohnort verwurzelter Mieter vor der (Eigenbedarfs)-Kündigung
Die Parteien streiten über die Räumung und Herausgabe einer von der mittlerweile 89-jährigen Beklagten im Jahre 1997 von den Rechtsvorgängern der Klägerin angemieteten Wohnung. Die Klägerin erklärte erstmals im Jahre 2015 und in der Folge wiederholt die Kündigung des Mietverhältnisses wegen Eigenbedarfs. Die Beklagte und ihr mittlerweile verstorbener Ehemann widersprachen den Kündigungen unter Verweis auf ihr hohes Alter, ihren beeinträchtigten Gesundheitszustand, ihre langjährige Verwurzelung am Ort der Mietsache und ihre für die Beschaffung von Ersatzwohnraum zu beschränkten finanziellen Mittel. Das AG hatte die von der Klägerin erhobene Räumungsklage mit einem am 26.10.2018 verkündeten Urteil abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung der Klägerin hatte zunächst keinen Erfolg, da das LG die Berufung bereits mit Urteil vom 12.03.2019 mit der Begründung zurückgewiesen hatte, der Beklagten stehe gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB allein aufgrund ihres hohen Lebensalters ein Anspruch auf eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses zu. Dieses Berufungsurteil des LG hatte der BGH auf eine Revision der Klägerin mit Urteil vom 03.02.2021 teilweise aufgehoben und den Rechtsstreit an das LG zurückverwiesen. Nach Auffassung des BGH begründet das hohe Alter eines Mieters alleine und ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter grundsätzlich noch keine Härte. Zudem hänge eine tiefe Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietwohnung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab (BGH, Urt. v. 3. Februar 2021 – VIII ZR 68/19).
Das LG hat die Berufung der Klägerin nunmehr erneut zurückgewiesen. Sie hat es dabei dahinstehen lassen, ob die von der Beklagten behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen tatsächlich derartig erheblich sind, wie vom AG angenommen, denn nach der Entscheidung des LG können sich Mieter im Einzelfall auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen berechtigt auf eine Fortsetzung des Mietverhältnisses berufen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich die Mieter zum Zeitpunkt des Wohnungsverlustes bereits in einem hohen Lebensalter befänden und zudem aufgrund eines langjährigen Mietverhältnisses tief am Ort der Mietsache verwurzelt seien. Diese Voraussetzungen hat das LG nach erneuter Tatsachenfeststellung in dem zugrundeliegenden Fall für gegeben erachtet. Die Folgen des Wohnungsverlustes seien für die Beklagte so schwerwiegend, dass sie auf eine Verletzung ihrer durch Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde hinausliefen. Das LG hat gleichzeitig befunden, dass die Interessen der klagenden Vermieterin dahinter zurückzustehen hätten. Eine Interessenabwägung zu Gunsten des Vermieters käme bei kündigungsbedingten Verletzungen der Menschenwürde des Mieters allenfalls dann in Betracht, wenn der Vermieter besonders gewichtige persönliche oder wirtschaftliche Nachteile für den Fall des Fortbestandes des Mietverhältnisses geltend machen könne, die ein den Interessen des betagten und an seinem Wohnort tief verwurzelten Mieters zumindest gleichrangiges Erlangungsinteresse begründeten. Ein entsprechend hohes Erlangungsinteresse könne die Klägerin aber in diesem Fall nicht geltend machen, da die von ihr beabsichtigte Eigennutzung der Wohnung lediglich auf bloßen Komfortzuwachs und die Vermeidung unerheblicher wirtschaftlicher Nachteile gerichtet sei. Das LG hat die erneute Revision zum BGH nicht zugelassen. Gegen die Nichtzulassung einer Revision kann grundsätzlich Beschwerde beim BGH eingelegt werden. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision würde eine Beschwer von über 20.000,00 € erfordern. Ob dieser Wert vorliegend erreicht ist, wäre vom BGH selbst zu entscheiden. (LG Berlin, Urt. v. 25.05.2021 – 67 S 345/18)

Abstract: Mieter können vom Vermieter unter Berufung auf ihr hohes Lebensalter und ihre langjährige und tiefe Verwurzelung am Ort der Mietsache die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen.

Steuerrecht

BFH hält die Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste für verfassungswidrig
Der Kläger erzielte aus der Veräußerung von Aktien ausschließlich Verluste. Er beantragte, diese Verluste mit seinen sonstigen Einkünften aus Kapitalvermögen, die nicht aus Aktienveräußerungsgewinnen bestanden, zu verrechnen. Nach Auffassung des BFH bewirkt § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung, weil sie Steuerpflichtige ohne rechtfertigenden Grund unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob sie Verluste aus der Veräußerung von Aktien oder aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen erzielt haben. Eine Rechtfertigung für diese nicht folgerichtige Ausgestaltung der Verlustausgleichsregelung für Aktienveräußerungsverluste ergibt sich weder aus der Gefahr der Entstehung erheblicher Steuermindereinnahmen noch aus dem Gesichtspunkt der Verhinderung missbräuchlicher Gestaltungen oder aus anderen außerfiskalischen Förderungs- und Lenkungszielen. Das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 hat die Besteuerung von Kapitalanlagen, die dem steuerlichen Privatvermögen zuzurechnen sind, grundlegend neu gestaltet. Durch die Zuordnung von Gewinnen aus der Veräußerung von Kapitalanlagen (u.a. Aktien) zu den Einkünften aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG) unterliegen die dabei realisierten Wertveränderungen (Gewinne und Verluste) in vollem Umfang und unabhängig von einer Haltefrist der Besteuerung. Da Einkünfte aus Kapitalvermögen grundsätzlich abgeltend mit einem speziellen Steuersatz von 25% besteuert werden, sieht § 20 Abs. 6 Satz 2 EStG vor, dass Verluste aus Kapitalvermögen nur mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden dürfen. Eine zusätzliche Verlustverrechnungsbeschränkung gilt für Verluste aus der Veräußerung von Aktien (§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG). Diese dürfen nicht mit anderen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen, sondern nur mit Gewinnen, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden. Nach der Gesetzesbegründung sollen dadurch Risiken für den Staatshaushalt verhindert werden. (BFH, Beschl. v. 17.11.2020 – VIII R 11/18)

Abstract: Der BFH hat dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen.

Arbeitsrecht

Abberufung eines Beauftragten für Datenschutz
Der Kläger ist der von der Arbeit teilweise freigestellte Vorsitzende des bei der Beklagten gebildeten Betriebsrats. Mit Wirkung zum 01.06.2015 wurde er zusätzlich zum betrieblichen Datenschutzbeauftragten der Beklagten und – parallel dazu – drei weiterer Konzernunternehmen bestellt. Die Beklagte berief den Kläger (ebenso wie die drei weiteren Konzernunternehmen) mit Schreiben vom 01.12.2017 und – nach Inkrafttreten der DSGVO – mit weiterem Schreiben vom 25.05.2018 als Datenschutzbeauftragten ab. Mit seiner Klage hat der Kläger geltend gemacht, seine Rechtsstellung als Datenschutzbeauftragter bestehe unverändert fort. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, es drohten Interessenkonflikte, wenn der Kläger zugleich Datenschutzbeauftragter und Betriebsratsvorsitzender sei. Dies führe zu einer Unvereinbarkeit beider Ämter, die einen wichtigen Grund zur Abberufung des Klägers darstelle. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Für die Entscheidung, ob die Beklagte den Kläger wirksam von seinem Amt als betrieblicher Datenschutzbeauftragter abberufen hat, kommt es auf die Auslegung von Unionsrecht an, die dem EuGH vorbehalten ist. Das nationale Datenschutzrecht regelt in § 38 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG, dass für die Abberufung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB vorliegen muss. Damit knüpft es die Abberufung eines Datenschutzbeauftragten an strengere Voraussetzungen als das Unionsrecht, nach dessen Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO die Abberufung lediglich dann nicht gestattet ist, wenn sie wegen der Aufgabenerfüllung des Datenschutzbeauftragten vorgenommen wird. Einen wichtigen Grund zur Abberufung verlangt das europäische Recht nicht. Das BAG hält unter Zugrundelegung der bisherigen Rechtsprechung vorliegend keinen wichtigen Abberufungsgrund für gegeben. Deshalb hat er sich nach Art. 267 AEUV mit der Frage an den EuGH gewandt, ob neben der Regelung in Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO mitgliedstaatliche Normen anwendbar sind, die – wie § 38 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 Satz 1 BDSG – die Möglichkeit der Abberufung eines Datenschutzbeauftragten gegenüber den unionsrechtlichen Regelungen einschränken. Sollte der EuGH die Anforderungen des BDSG an eine Abberufung für unionsrechtskonform erachten, hält der Senat es zudem für klärungsbedürftig, ob die Ämter des Betriebsratsvorsitzenden und des Datenschutzbeauftragten in einem Betrieb in Personalunion ausgeübt werden dürfen oder ob dies zu einem Interessenkonflikt i.S.v. Art. 38 Abs. 6 Satz 2 DSGVO führt. (BAG, Beschl. v. 27.04.2021 – 9 AZR 383/19 (A)

Abstract: Zur Klärung der Frage, ob die Anforderungen des BDSG an die Abberufung eines betrieblichen Datenschutzbeauftragten im Einklang mit der europäischen DSGVO stehen, wurde vom BAG der EuGH angerufen.

Zivilrecht

Die Klägerin flog an Bord der beklagten Fluggesellschaft in der Business Class von München nach New York. Auf dem Flug, der um 12.25 Uhr startete, wurde der Klägerin ca. 90 Minuten vor der Landung ein Abendessen angeboten. Das Menü begann mit einer Steinpilzcremesuppe in einer Porzellanschale. Die Suppenschale wurde der Klägerin auf einem Tablett mit Besteckrolle und fester Leinenserviette gereicht. Die Suppe, deren Temperatur zwischen den Parteien streitig ist, ergoss sich infolge eines zwischen den Parteien streitigen Missgeschicks auf dem oberen Brustbereich der Klägerin und verursachte dort Verbrennungen zweiten Grades, weswegen sie nach der Landung eine Klinik aufsuchen musste. Die Klägerin schilderte den Hergang des Unglücks so, dass sie die Suppe außerhalb des Menüs bestellt und erhalten habe. Sie habe aufrecht gesessen und die Porzellanschale in die linke Hand genommen, um mit dem Löffel in der rechten Hand einen möglichst kurzen Weg zum Mund zu haben. Die Schüssel sei aber so heiß gewesen, dass sie sie schnell wieder absetzen wollte und hierbei einen Ruck verursacht habe, infolgedessen sich die heiße Flüssigkeit auf ihrem „Ausschnitt“ ergossen habe. Es hätten sich sofort ein brennender Schmerz im Brustbereich und Verbrennungen auf ihren Fingerkuppen gezeigt. Die Klägerin ist der Meinung, die Servierkräfte hätten die hohe Temperatur der Suppenschüssel kontrollieren müssen. Der Klägerin sei nach dem Unglück trotz ihrer Bitte um Crushed-Ice in einer Stoffserviette zum Kühlen lediglich ein Becher Eiswürfel und eine Papierserviette gereicht worden. Ihr sei keine Brandsalbe gebracht worden. Es sei kein Arzt ausgerufen worden. Nach der Landung sei sie nicht am Gate versorgt worden. Ihr sei keine Spezialklinik für Verbrennungen in New York, sondern lediglich eine normale Klinik, wo sie auch behandelt wurde, empfohlen worden. Sie habe Schmerzen erlitten. Sie sei durch den Vorfall psychisch angeschlagen. Daher beantragte sie die Zahlung eines angemessenen, mindestens fünfstelligen Schmerzensgeldes und die Feststellung, dass die beklagte Fluggesellschaft ihr alle Schäden, auch die wegen der psychischen Folgen, ersetzt. Die Fluggesellschaft lehnte die Zahlung von Schmerzensgeld und weiteren Schadensersatz mit der Begründung ab, die Klägerin müsse sich ein überwiegendes Mitverschulden anrechnen lassen. Den Passagieren würden die Speisen und Getränke mit der gebotenen Sorgfalt angereicht – die Suppen nicht zu heiß und nicht bis zum Rand gefüllt. Die Klägerin habe ihre Suppe in einer stark zurückgeneigten Position zu sich genommen.
Das LG hat der Klägerin Schmerzensgeld und weiteren Schadensersatz nicht zugesprochen. Ein verschuldensunabhängiger Anspruch aus Art. 21 i. V. m. Art. 17 des Montrealer Übereinkommens (MÜ) scheitere an dem Mitverschulden der Klägerin, das das Gericht mit 100 % angesetzt hat. Nach dem maßgeblichen Art. 20 MÜ reicht ein sog. „Verschulden gegen sich selbst“, also wenn ein Geschädigter unter Verstoß gegen Treu und Glauben diejenigen zumutbaren Maßnahmen unterlässt, die ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Mensch nach Lage der Dinge ergreifen würde, um Schaden von sich abzuwenden oder zu mindern. Dabei ging das Gericht davon aus, dass die Klägerin die Suppe in einer stark zurückgeneigten Position verzehren wollte. Anders seien die Verbrennungen und deren Lokalisation auf dem Ausschnitt der Klägerin nicht zu erklären. Hätte die Klägerin aufrecht gesessen und wäre die Porzellanschale wirklich so brühend heiß gewesen, hätte die Klägerin die Suppe wohl höchstens umgekippt. Es wäre ihr nicht gelungen, die Schale bis zur Brust anzuheben. Jedenfalls hätte die Klägerin die Verpflichtung gehabt, die Temperatur der Schale zuvor zu prüfen, genau wie auch die Temperatur der Suppenflüssigkeit in der Suppenschale. Die Klägerin habe aber vorgetragen, dass sie die Schale in aufrechter Position sitzend in einer Bewegung zum Mund geführt habe, d.h. sie habe die Temperatur der Schale vor dem Anheben gerade nicht geprüft. Hätte sie die Schale vor dem Anfassen geprüft, hätte sie sie erst gar nicht angehoben und die Verletzungen seien vermieden worden. Die angeblich unzureichende und zögerliche Nachsorge der Verletzungen an Bord habe nicht erkennbar zu einem eigenen Schaden geführt. (LG Köln, Urt. v. 25.05.2021 – 21 O 299/20; nrkr.)

Abstract: Passagiere müssen in ihrem eigenen Interesse während eines Flugs gut aufpassen, dass sie nicht zu heiße Suppentassen zum Mund führen.