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WBP NEWS

Online-News für den 15.10.2022

Zivilrecht

Negative Bewertung bei eBay (hier: „Versandkosten Wucher!!“)
Der Beklagte erwarb von der Klägerin über die Internetplattform eBay vier Gelenkbolzenschellen für 19,26 € brutto. Davon entfielen 4,90 € auf die dem Beklagten in Rechnung gestellten Versandkosten. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage der zu diesem Zeitpunkt maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay, denen die Parteien vor dem Geschäft zugestimmt hatten. Dort heißt es auszugsweise: „§ 8 Bewertungen […] 2. Nutzer sind verpflichtet, in den abgegebenen Bewertungen ausschließlich wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die von Nutzern abgegebenen Bewertungen müssen sachlich gehalten sein und dürfen keine Schmähkritik enthalten. […]“. Nach Erhalt der Ware bewertete der Beklagte das Geschäft in dem von eBay zur Verfügung gestellten Bewertungsprofil der Klägerin mit dem Eintrag „Ware gut, Versandkosten Wucher!!“. Das AG hat die auf Entfernung dieser Bewertung und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Nach Auffassung des AG handele es sich bei der Bezeichnung der Versandkosten als „Wucher“ um ein Werturteil, das nur dann unzulässig sei, wenn es sich um eine Schmähkritik handele. Eine solche liege jedoch nicht vor. Die Bewertung weise einen Sachbezug auf, weil sie in einen Zusammenhang mit den Versandkosten gestellt sei. Auf die Berufung der Klägerin hat das LG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und den Beklagten antragsgemäß zur Entfernung der Bewertung und zum Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verurteilt. Aus Sicht des Berufungsgerichts habe der Beklagte eine nachvertragliche Nebenpflicht verletzt (§ 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2 BGB). Die Bewertung verstoße gegen das Sachlichkeitsgebot aus § 8 Nr. 2 Satz 2 der AGB von eBay (nachfolgend: eBay-AGB). Daraus ergebe sich ein über die Abwehr von Schmähkritik hinausgehender Schutz. Bei der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ handele es sich um eine überspitzte Beurteilung ohne sachlichen Bezug, die nicht gerechtfertigt sei, weil für einen objektiven Leser nicht erkennbar sei, warum sich die Versandkosten aus Sicht des Käufers als „Wucher“ darstellten. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Der BGH hat entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf Entfernung der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht zusteht, auch nicht unter dem vom Berufungsgericht herangezogenen Gesichtspunkt einer (nach-)vertraglichen Nebenpflichtverletzung. Anders als das Berufungsgericht es gesehen hat, enthält die Regelung des § 8 Abs. 2 Satz 2 der eBay-AGB über die bei Werturteilen ohnehin allgemein geltende (deliktsrechtliche) Grenze der Schmähkritik hinaus keine strengeren vertraglichen Beschränkungen für die Zulässigkeit von Werturteilen in Bewertungskommentaren. Zwar ist der Wortlaut der Klausel nicht eindeutig. Für das Verständnis, dem Sachlichkeitsgebot in § 8 Abs. 2 Satz 2 der eBay-AGB solle gegenüber dem Verbot der Schmähkritik ein eigenständiges Gewicht nicht zukommen, spricht aber bereits der Umstand, dass hier genaue Definitionen zu dem unbestimmten Rechtsbegriff „sachlich“ in den AGB fehlen. Es liegt in diesem Fall im wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, die Zulässigkeit von grundrechtsrelevanten (Art. 2 Abs. 1, Art. 12 GG [beim Verkäufer], Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG [beim Käufer]) Bewertungen eines getätigten Geschäfts an den gefestigten Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Schmähkritik auszurichten und hierdurch die Anforderungen an die Zulässigkeit von Bewertungskommentaren für die Nutzer und eBay selbst möglichst greifbar und verlässlich zu konturieren. Zudem hätte es der gesonderten
Erwähnung der Schmähkritikgrenze nicht bedurft, wenn dem Nutzer schon durch die Vorgabe, Bewertungen sachlich zu halten, eine deutlich schärfere Einschränkung hätte auferlegt werden sollen. Außerdem würde man der grundrechtlich verbürgten Meinungsfreiheit des Bewertenden von vorherein ein geringeres Gewicht beimessen als den Grundrechten des Verkäufers, wenn man eine Meinungsäußerung eines Käufers regelmäßig bereits dann als unzulässig einstufte, wenn sie herabsetzend formuliert ist und/oder nicht (vollständig oder überwiegend) auf sachlichen Erwägungen beruht. Eine solche, die grundrechtlichen Wertungen nicht hinreichend berücksichtigende Auslegung entspricht nicht dem an den Interessen der typischerweise beteiligten Verkehrskreise ausgerichteten Verständnis redlicher und verständiger Vertragsparteien. Die Grenze zur Schmähkritik ist durch die Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ nicht überschritten. Wegen seiner das Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG beschränkenden Wirkung ist der Begriff der Schmähkritik nach der Rechtsprechung des BGH eng auszulegen. Auch eine überzogene, ungerechte oder gar ausfällige Kritik macht eine Äußerung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung des Betroffenen im Vordergrund steht, der jenseits polemischer und überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll. Daran fehlt es hier. Bei der Bewertung „Versandkosten Wucher!!“ steht eine Diffamierung der Klägerin nicht im Vordergrund, denn der Beklagte setzt sich – wenn auch in scharfer und möglicherweise überzogener Form – kritisch mit einem Teilbereich der gewerblichen Leistung der Klägerin auseinander, indem er die Höhe der Versandkosten beanstandet. Die Zulässigkeit eines Werturteils hängt nicht davon ab, ob es mit einer Begründung versehen ist. (BGH, Urt. v. 28.09.2022 – VIII ZR 319/20)

Abstract: Ein Verkäufer, der ein Produkt über die Internetplattform eBay verkauft, hat keinen Anspruch gegen den Käufer auf Entfernung einer von diesem abgegebenen negativen Bewertung, wenn dieser ausführt “Versandkosten Wucher!!“.

Steuerrecht

Unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch das Finanzamt
Eine selbständige Unternehmensberaterin machte in ihrer ESt-Erklärung erstmals Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer geltend. Auf Nachfrage des Finanzamts (FA) reichte sie eine Skizze der Wohnung ein, die der Sachbearbeiter des FA aber für klärungsbedürftig hielt. Er bat den Flankenschutzprüfer um Besichtigung der Wohnung. Dieser erschien unangekündigt an der Wohnungstür der Steuerpflichtigen, wies sich als Steuerfahnder aus und betrat unter Hinweis auf die Überprüfung im Besteuerungsverfahren die Wohnung. Die Steuerpflichtige hat der Besichtigung nicht widersprochen.
Der BFH urteilte, dass die Besichtigung rechtswidrig war. Zur Überprüfung der Angaben zum häuslichen Arbeitszimmers im Besteuerungsverfahren ist angesichts des in Art. 13 Abs. 1 GG verbürgten Schutzes der Unverletzlichkeit der Wohnung eine Besichtigung in der Wohnung eines mitwirkungsbereiten Steuerpflichtigen erst dann erforderlich, wenn die Unklarheiten durch weitere Auskünfte oder andere Beweismittel (z.B. Fotografien) nicht mehr sachgerecht aufgeklärt werden können. Dies gilt auch dann, wenn die Steuerpflichtige der Besichtigung zugestimmt hat und deshalb ein schwerer Grundrechtseingriff nicht vorliegt. Wie der BFH weiter ausführte, war die Ermittlungsmaßnahme auch deshalb rechtswidrig, weil sie von einem Steuerfahnder und nicht von einem Mitarbeiter der Veranlagungsstelle durchgeführt wurde. Denn das persönliche Ansehen des Steuerpflichtigen kann dadurch gefährdet werden, dass zufällig anwesende Dritte (z.B. Besucher oder Nachbarn) glauben, dass beim Steuerpflichtigen strafrechtlich ermittelt wird. (BFH, Urt. v. 12.07.2022 – VIII R 8/19)

Abstract: Eine unangekündigte Wohnungsbesichtigung durch einen Beamten der Steuerfahndung als sog. Flankenschutzprüfer zur Überprüfung der Angaben der Steuerpflichtigen zu einem häuslichen Arbeitszimmer ist rechtswidrig, wenn die Steuerpflichtige bei der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt.

Arbeitsrecht

Ver.di ist tariffähig
Ver.di wurde im Jahr 2001 durch einen Zusammenschluss von fünf Gewerkschaften gegründet. Sie hat etwa 1,9 Mio. Mitglieder und ist u.a. für die Pflegebranche zuständig. Der Antragsteller – ein Arbeitgeberverband für Pflegeeinrichtungen in Deutschland – hat die Feststellung begehrt, dass ver.di in der Pflegebranche nicht tariffähig ist. Ihr fehle in diesem Bereich die erforderliche – durch die Zahl der organisierten Arbeitnehmer vermittelte – Durchsetzungskraft gegenüber der Arbeitgeberseite. Hilfsweise hat der Antragsteller geltend gemacht, ver.di sei bezogen auf ihren gesamten satzungsmäßigen Organisationsbereich tarifunfähig.
Das in erster Instanz zuständige LAG hat die Anträge abgewiesen. Die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde des Antragstellers blieb vor demBAG erfolglos. Der auf die Feststellung einer teilweisen Tarifunfähigkeit gerichtete Hauptantrag war unzulässig. Die Tariffähigkeit ist die rechtliche Fähigkeit, im selbst beanspruchten Organisationsbereich wirksam Tarifverträge mit dem sozialen Gegenspieler abzuschließen. Diese Fähigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des BAG für den beanspruchten Zuständigkeitsbereich einer Vereinigung einheitlich und unteilbar. Eine teilweise, auf bestimmte Branchen, Regionen, Berufskreise oder Personengruppen beschränkte Tariffähigkeit einer Koalition gibt es nicht. Die Rechtsbeschwerde gegen die Abweisung des Hilfsantrags war unzulässig. Damit steht rechtskräftig fest, dass ver.di tariffähig ist. (BAG, Beschl. v. 13. 09.2022 – 1 ABR 24/21)

Abstract: Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) ist tariffähig. Damit kann sie Tarifverträge auch in der Pflegebranche abschließen.

Zivilrecht

Gutgläubiger Erwerb eines gebrauchten Fahrzeugs
Die Klägerin, eine Gesellschaft italienischen Rechts, die Fahrzeuge in Italien vertreibt, kaufte im März 2019 unter Einschaltung eines Vermittlers ein Fahrzeug von einem Autohaus, bei dem das Fahrzeug stand. Eigentümerin des Fahrzeugs war die Beklagte, die es an das Autohaus verleast hatte und die auch im Besitz der Zulassungsbescheinigung Teil II ist. Nach Zahlung des Kaufpreises von 30.800 € holte der Vermittler Anfang April 2019 das Auto bei dem Autohaus ab und verbrachte es zu der Klägerin nach Italien. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dem Vermittler eine hochwertige Fälschung der Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt wurde, in der das Autohaus als Halter eingetragen war. Als die Klägerin ein weiteres Fahrzeug von dem Autohaus kaufen wollte, war es geschlossen. Gegen den Geschäftsführer wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Betrugsverdachts in über 100 Fällen eingeleitet. Das LG hat die auf Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II gerichtete Klage der Klägerin abgewiesen und auf die Widerklage der Beklagten die Klägerin verurteilt, das Fahrzeug herauszugeben. Das OLG hat umgekehrt entschieden und die Beklagte verurteilt, die Zulassungsbescheinigung Teil II an die Klägerin herauszugeben. Die Widerklage hat es abgewiesen.
Der BGH hat die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die Klägerin kann von der Beklagten die Herausgabe der Zulassungsbescheinigung Teil II verlangen, weil sie Eigentümerin des Fahrzeugs geworden ist (§ 985 BGB i.V.m. § 952 BGB analog). Ursprüngliche Eigentümerin des Fahrzeugs war zwar die Beklagte. Zwischen der Klägerin und dem Autohaus hat aber eine Einigung und Übergabe i.S.v. § 929 Satz 1 BGB stattgefunden. Weil das Fahrzeug dem Autohaus als Veräußerer nicht gehörte, konnte die Klägerin das Eigentum durch diesen Vorgang allerdings nur gutgläubig erwerben (§ 932 Abs. 1 Satz 1 BGB). Dass die Klägerin nicht in gutem Glauben war, muss die Beklagte beweisen. Der Gesetzgeber hat die fehlende Gutgläubigkeit im Verkehrsinteresse bewusst als Ausschließungsgrund ausgestaltet. Derjenige, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, muss die Erwerbsvoraussetzungen des § 929 BGB beweisen, nicht aber seine Gutgläubigkeit. Diese Beweislastverteilung gilt auch, wenn die fehlende Gutgläubigkeit des Erwerbers – wie hier – darauf gestützt wird, bei dem Erwerb des Fahrzeugs habe die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht vorgelegen. Zwar gehört es nach ständiger Rechtsprechung des BGH regelmäßig zu den Mindesterfordernissen für einen gutgläubigen Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs, dass sich der Erwerber die Zulassungsbescheinigung Teil II vorlegen lässt, um die Berechtigung des Veräußerers zu prüfen. Wird dem Erwerber eine gefälschte Bescheinigung vorgelegt, treffen ihn, sofern er die Fälschung nicht erkennen musste und für ihn auch keine anderen Verdachtsmomente vorlagen, keine weiteren Nachforschungspflichten. Diese Rechtsprechung ist aber nicht so zu verstehen, dass die Vorlage der Zulassungsbescheinigung Teil II von demjenigen zu beweisen wäre, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft. Denn für die von dem Erwerber zu beweisenden Erwerbsvoraussetzungen nach § 929 Satz 1 BGB spielt die Vorlage der Bescheinigung keine Rolle. Sie hat rechtliche Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem guten Glauben des Erwerbers; dessen Fehlen muss der gesetzlichen Regelung zufolge der bisherige Eigentümer beweisen. Allerdings trifft den Erwerber, der sich auf den gutgläubigen Erwerb beruft, regelmäßig eine sogenannte sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Vorlage und Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil II. Er muss also seinerseits vortragen, wann, wo und durch wen ihm die Bescheinigung vorgelegt worden ist und dass er sie überprüft hat. Dann muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass diese Angaben nicht zutreffen. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin habe mit dem Vortrag zu der Vorlage einer hochwertigen Fälschung ihre sekundäre Darlegungslast erfüllt und die Beklagte habe den Beweis für die fehlende Gutgläubigkeit der Klägerin nicht geführt, ist nicht zu beanstanden. Das gilt insbesondere für die Auffassung, der gute Glaube der Klägerin sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Autohaus dem Vermittler die Zulassungsbescheinigung Teil II nicht ausgehändigt habe. Das Berufungsgericht sieht einen plausiblen Grund für den Einbehalt der Bescheinigung darin, dass – wie in dem Kaufvertrag vereinbart – auf diese Weise sichergestellt werden sollte, dass die Klägerin die Gelangensbestätigung (§ 17a Abs. 2 Nr. 2 UStDV) übersendet, mit der bei innergemeinschaftlichen Lieferungen die Umsatzsteuerfreiheit nachgewiesen werden kann. Das hält der eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle stand. Weil die Klägerin Eigentümerin geworden ist, ist die auf die Herausgabe des Fahrzeugs gerichtete Widerklage der Beklagten unbegründet. (BGH, Urt. v. 23.09.2022 – V ZR 148/21)

Abstract: Wenn sich der Erwerber eines gebrauchten Fahrzeugs auf den gutgläubigen Erwerb von einem Nichtberechtigten beruft, muss der bisherige Eigentümer beweisen, dass der Erwerber sich die Zulassungsbescheinigung Teil II (früher: Kraftfahrzeugbrief) nicht hat vorlegen lassen.

Luftbeförderung

Der Ausgleichsanspruch für Fluggäste wegen großer Verspätung gilt auch bei einem Flug mit direkten Anschlussflügen, bei dem die Flüge von unterschiedlichen ausführenden Luftfahrtunternehmen durchgeführt werden. (EuGH, C-436/21)