Online-News für den 15.11.2024
Zivilrecht
Kunde schuldet nur Aufwendungsersatz für konkret mit dem Auftrag entstandene Kosten
Der Kläger beauftragte die beklagte Immobilienmaklerin mit der Vermarktung seines Einfamilienhauses im Hintertaunus zum Angebotspreis von 695.000 €. Gem. Ziff. 6 der AGB des Maklervertrags war der Auftraggeber bei Aufgabe seiner Verkaufsabsicht zum Aufwendungsersatz verpflichtet. Zu den konkreten erstattungspflichtigen Aufwendungen sollten u. a. anteilige Bürokosten zählen. Nach vier Monaten teilte der Kläger mit, dass das Haus doch nicht kurzfristig verkauft werden sollte. Die Beklagte stellte ihm daraufhin 11.454,51 € in Rechnung, wovon 282,51 € auf „Fremdkosten laut Aufstellung“ und der übrige Betrag auf Arbeitsstunden entfielen. Hierauf zahlte der Kläger 6.282,51 €, die er nunmehr zurückverlangt. Das LG hatte seiner Klage stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Berufung der Maklerin. Sie hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Ziff. 6 des Maklervertrags sei unwirksam.
Die Regelung benachteiligt den Vertragspartner unangemessen. Zwar könne eine Pflicht des Maklerkunden zum Aufwendungsersatz grundsätzlich in AGB vereinbart werden. Sie müsse sich dann aber „wirklich und ausschließlich auf den Ersatz von konkretem Aufwand beziehen“. Eine darüberhinausgehende Pflicht zum Aufwendungsersatz lasse sich in AGBs nicht wirksam vereinbaren. Grundsätzlich sei beim Maklervertrag die Provision vom Erfolg der Tätigkeit abhängig. „Wird im Gewand des Aufwendungsersatzes in Wahrheit eine erfolgsunabhängige Provision vereinbart“, widerspreche diese dem Leitbild und sei damit unwirksam. Hier umfasse der in Ziff. 6 geregelte Aufwendungsersatz u. a. anteilige Bürokosten. Der Makler habe damit einen Anspruch, der über den Ersatz des für die Bearbeitung des einzelnen Auftrags konkret entstandenen Aufwands hinausgehe. Bürokosten seien laufende Gemeinkosten, die beim Makler grundsätzlich fest eingeplant seien. Es handele sich nicht um Aufwendungen für einen konkreten Kunden. Die Regelung sei damit unwirksam. Die Unwirksamkeit der Belastung mit anteiligen Bürokosten führe hier zur Gesamtunwirksamkeit der Vereinbarung über den Aufwendungsersatz. Andernfalls wäre es einem Makler möglich, risikolos rechtlich nicht geschuldete Positionen abzurechnen, „in der Hoffnung, dass zumindest ein Teil der Kunden hierauf eine Zahlung leistet“, führte der Senat weiter aus. (OLG Frankfurt, Urt. v. 23.10.2024 – 19 U 134/23; nicht anfechtbar)
Abstract: Nach gekündigtem Maklervertrag schuldet Kunde nur Aufwendungsersatz für konkret mit dem Auftrag entstandene Kosten. Gibt ein Kunde seine Verkaufsabsicht auf, kann der Makler grundsätzlich nur Ersatz der konkret durch die Bearbeitung des einzelnen Auftrags entstandenen Kosten verlangen. Soll sich der Aufwendungsersatz nach AGB-Regelungen auch auf die Zahlung von Gemeinkosten erstrecken (hier: anteilige Bürokosten), ist die Klausel zum Aufwendungsersatz insgesamt unwirksam.
Mietrecht
Modernisierungsarbeiten verpflichten nur im Ausnahmefall zum Auszug – Kündigung der Vermieterseite unwirksam
Das Landgericht Berlin II hat auf die Berufung des 85-jährigen Mieters eine Räumungsklage der Vermieterin abgewiesen. Die wegen (vermeintlicher) Verletzung der Pflicht zur Duldung von Modernisierungsarbeiten zunächst angedrohte, dann ausgesprochene fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung sei unwirksam. Eine andere Kammer hatte den Mieter, der das Mietobjekt seit seiner Geburt bewohnt, am 07.09.2021 (Az. 63 S 415/19) zur Duldung mehrerer Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten verurteilt und ihn verpflichtet, den von der Klägerin beauftragten Handwerkern den Zutritt zur Ausführung der Arbeiten jeweils nach entsprechender rechtzeitiger Ankündigung vom Montag bis Freitag im Zeitraum zwischen 7:00 Uhr und 18:00 Uhr zu gewähren. Mit mehreren Schreiben forderte die Vermieterin den Mieter zwischen Juli und September 2023 auf, für Baufreiheit zu sorgen und das Haus zu räumen, da die Bewohnbarkeit der Immobilie in der Zeit der Bauphase nicht gegeben sei. Der Mieter erwiderte darauf unter anderem, dass er nur zur Duldung und Zutrittsgewährung, nicht aber zur vorübergehenden Räumung verurteilt worden sei.
Das LG teilt diese Auffassung. Der im Gesetz verwendete, dem vorangegangenen Urteil zugrundeliegende Begriff der Duldung erfasse kein aktives Handeln, sondern beschränke sich auf ein passives Zulassen der Maßnahmen und die Gewährung von Zutritt. Ein zur Duldung von Erhaltungs- und Modernisierungsarbeiten verpflichteter Mieter müsse das Mietobjekt während der Bauarbeiten nicht auf bloßes Verlangen des Vermieters räumen. Dies komme allenfalls unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht, etwa dann, wenn die Maßnahmen bei einem baufälligen Haus nicht anders erledigt werden können. Dafür seien weder dem Ankündigungsschreiben noch den außergerichtlichen Schreiben der Klägerin oder ihrem Vortrag im hiesigen Verfahren Anhaltspunkte zu entnehmen. Dagegen spreche vielmehr, dass die Maßnahmen in einem Reihenhaus vorgenommen werden sollen, demnach – anders als in einem Mehrfamilienhaus – isoliert geplant und durchgeführt werden können, ferner der Zustand des Hauses nach der Beschreibung der Maßnahmen im Ankündigungsschreiben. Den Aufforderungen der Vermieterin das Haus zu räumen, habe daher eine rechtliche Grundlage gefehlt. Es sei vielmehr die Vermieterin nach dem vertraglichen Rücksichtnahmegebot (§ 241 Abs. 2 BGB) ihrerseits verpflichtet gewesen, bei der Planung und Durchführung der Baumaßnahmen auf den betroffenen Mieter Rücksicht zu nehmen, hier auf die gesundheitlichen Belange und das Alter des Mieters. Es erschließe sich für jedermann von selbst, dass im Rahmen der Planung der Ausführung baulicher Maßnahmen in einer Wohnung bei einem jungen, gesunden Mieter andere Belange zu berücksichtigen sind als bei einem Mieter, der das Alter von 80 Jahren bereits deutlich überschritten hat und/oder aus anderen, etwa gesundheitlichen Gründen besonders schutzbedürftig ist. Davon gehe auch das Gesetz aus, das eine Pflichtverletzung des Vermieters vermutet, wenn eine bauliche Veränderung in einer Weise durchgeführt werde, die geeignet ist, zu erheblichen, objektiv nicht notwendigen Belastungen des Mieters zu führen (§ 559d Satz 1 Nr. 3 BGB). Das Landgericht II verweist weiter darauf, dass die Rücksichtnahmepflicht bei der Planung und Ausführung von Baumaßnahmen dabei unabhängig davon bestehe, ob der Mieter fristgerecht einen Härteeinwand erhoben hat (§ 555d Abs. 2 BGB). Der Härteeinwand kann bereits die Duldungspflicht des Mieters ausschließen; das Rücksichtnahmegebot betrifft Pflichten des Vermieters bei bestehender Duldungspflicht. (LG Berlin II, Urt. v. 22.10.2024 – 65 S 139/24)
Abstract: Der Begriff der Duldung erfasst kein aktives Handeln, sondern beschränkt sich auf ein passives Zulassen der Maßnahmen und die Gewährung von Zutritt. Ein zur Duldung von Erhaltungs- und Modernisierungsarbeiten verpflichteter Mieter muss das Mietobjekt während der Bauarbeiten nicht auf bloßes Verlangen des Vermieters räumen.
Arbeitsrecht
Betriebsratswahl – Anfechtung – Briefwahl wegen Homeoffice und Kurzarbeit
Die Arbeitgeberin produziert an mehreren Standorten Kraftfahrzeuge. Im Frühjahr 2022 fand in ihrem Werk in Wolfsburg turnusgemäß die Betriebsratswahl statt. Bei Bekanntmachung des Wahlausschreibens im November 2021 galt für den Verwaltungsbereich infolge der Covid-19-Pandemie eine „bis auf Weiteres“ befristete betriebliche Anordnung, so weit wie möglich mobile Arbeit (Homeoffice) zu nutzen. Ausgenommen waren Beschäftigte, deren Tätigkeit eine Anwesenheit im Betrieb erforderte. Im Januar 2022 verlängerte die Arbeitgeberin ihre Anweisung; betroffen war auch der für die Wahl festgelegte Zeitraum vom 14. bis 18.03.2022. Daraufhin übersandte der Wahlvorstand an ca. 26.000 in der Verwaltung tätige Arbeitnehmer unaufgefordert Briefwahlunterlagen. Ab Mitte Februar 2022 kam es im Werk außerdem zu Kurzarbeit infolge von Produktionsausfällen. Deswegen beschloss der Wahlvorstand, alle ihm von der Arbeitgeberin gemeldeten und im Wahlzeitpunkt wegen der Kurzarbeit betriebsabwesenden Arbeitnehmer der schriftlichen Stimmabgabe zuzuordnen. Entsprechend erhielten ca. 33.000 Produktionsmitarbeiter Briefwahlunterlagen zugesandt. An der Betriebsratswahl beteiligten sich 39.498 Wahlberechtigte, davon etwa 35.000 im Wege der schriftlichen Stimmabgabe. Mit dem von ihnen eingeleiteten Verfahren haben mehrere wahlberechtigte Arbeitnehmer die Betriebsratswahl angefochten. Sie haben – unter anderem im Zusammenhang mit der schriftlichen Stimmabgabe – verschiedene Verstöße gegen Wahlvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes und der Ersten Verordnung zu dessen Durchführung (Wahlordnung) gerügt. Die Versendung von Briefwahlunterlagen an alle Arbeitnehmer im Homeoffice und in Kurzarbeit haben sie als unvereinbar mit der Wahlordnung angesehen. Das ArbG hat die Wahl antragsgemäß für unwirksam erklärt. Das LAG hat den Antrag abgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde hatten die Antragsteller Erfolg. Das BAG hat die Sache zur neuen Anhörung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Die Fälle einer zulässigen Briefwahl sind in der Wahlordnung (WO) abschließend geregelt. Nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 WO erhalten die Unterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe – ohne dies zu verlangen – diejenigen Wahlberechtigten, von denen dem Wahlvorstand bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses nicht im Betrieb anwesend sein werden. Hierunter fallen Arbeitnehmer, die während der Wahl wegen vorübergehend ausgeübter mobiler Arbeit und wegen Kurzarbeit betriebsabwesend sind. Allerdings kann auf der Grundlage der bisher festgestellten Tatsachen nicht beurteilt werden, ob der Wahlvorstand – insoweit unter Verstoß gegen § 24 Abs. 2 Nr. 1 WO – die Briefwahlunterlagen auch an zur mobilen Arbeit berechtigte Arbeitnehmer übersandt hat, von denen er wusste, dass sie im Wahlzeitraum wegen Unabkömmlichkeit ihre Tätigkeit im Betrieb verrichten. Hierzu ist eine weitere Aufklärung des Sachverhalts durch das LAG notwendig. Zu den sonstigen von den Antragstellern beanstandeten Wahlfehlern hat der Senat abschließend befunden, dass sie die Anfechtung der Betriebsratswahl nicht begründen. (BAG, Beschl. v. 23.10.2024 – 7 ABR 34/23)
Abstract: Für die Wahl des Betriebsrats kann der Wahlvorstand denjenigen Arbeitnehmern, von denen ihm bekannt ist, dass sie im Zeitpunkt der Wahl wegen vorübergehender mobiler Arbeit oder wegen Kurzarbeit voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden, die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe ohne einen entsprechenden Antrag übersenden.
Verwaltungsrecht
Herausgabe von Unterlagen im Zusammenhang mit Diesel-Fahrzeugen der VW AG
Das Kraftfahrt-Bundesamt (Beklagte) hatte die Anträge von drei Privatpersonen (Beigeladene) auf Herausgabe von Unterlagen, die Fahrzeugtypen (Passat, Tiguan, Golf, T6) der Klägerin betreffen, auf der Grundlage des Umweltinformationsgesetzes bewilligt. Hiergegen hatte die Klägerin zunächst Widerspruch und dann Klage erhoben, die sie u. a. mit dem Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie mit einer Beeinträchtigung laufender Gerichtsverfahren begründete. Ihre schutzwürdigen Geheimhaltungsinteressen überwögen das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der Dokumente.
Dem folgte das Gericht in seinen Entscheidungen nicht. Eine Beeinträchtigung laufender Zivilgerichtsverfahren sei nicht erkennbar, zumal die materiellen Rechtspositionen der Klägerin nicht unter diesen Schutz fielen. Für einige der Unterlagen, die der Kammer selbst nicht vorlagen, habe die Klägerin schon nicht dargelegt, dass diese schutzwürdige Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse enthielten. Soweit in anderen Unterlagen in einzelnen Aspekten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Klägerin enthalten sein könnten, überwiege bei der gebotenen Interessenabwägung jedenfalls vorliegend das öffentliche Bekanntgabeinteresse. Dabei spiele u. a. die erhebliche gesellschaftliche und mediale Relevanz des sog. Dieselskandals eine Rolle. Die Öffentlichkeit habe ein Recht zu überprüfen, ob das Kraftfahrt-Bundesamt die Einhaltung von umwelt- und klimaschützenden Gesetzen effektiv durchsetze. (VG Schleswig-Holstein, Urt. v. 05.11.2024 – 10 A 41/22, 10 A 218/22 und 10 A 382/23; nrkr.) Abstract: Unterlagen im Zusammenhang mit Diesel-Fahrzeugen der VW AG dürfen vom KBA herausgegeben werden.
Neue Rechengrößen in der Sozialversicherung beschlossen
Zum 01.01.2025 sollen die Beitragsbemessungsgrenzen in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung deutlich steigen. Grund sind die gestiegenen Löhne und Gehälter. Das Bundeskabinett hat die neuen Rechengrößen per Verordnung beschlossen. Die positive Einkommensentwicklung im vergangenen Jahr sorge dafür, dass die Beitragsbemessungsgrenzen zum 01.01.2025 deutlicher als in der Vergangenheit steigen soll. Im Jahr 2023 betrug die Lohnzuwachsrate 6,44%. Das ist die Basis, auf der die soziale Sicherung für 2025 fortgeschrieben wird. Das Bundeskabinett hat die „Sozialversicherungsrechengrößen-Verordnung 2025“ beschlossen. Der Bundesrat muss ihr noch zustimmen. Dann kann die Verordnung zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. In der gesetzlichen Krankenversicherung soll sich die Beitragsbemessungsgrenze einheitlich auf jährlich 66.150 € bzw. 5.512,50 € im Monat erhöhen. 2024 waren es noch 62.100 € im Jahr bzw. 5.175 € im Monat. Die Versicherungspflichtgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung soll sich auf jährlich 73.800 € bzw. monatlich 6.150 € belaufen. 2024 waren es noch 69.300 € bzw. 5.775 € im Monat. Auch die Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung soll Anfang des Jahres deutlich steigen – erstmals einheitlich in ganz Deutschland auf 8.050 € im Monat. 2024 belief sich die Grenze in den neuen Bundesländern noch auf 7.450 € im Monat, in den alten Bundesländern auf 7.550 €. In der knappschaftlichen Rentenversicherung soll sich diese Einkommensgrenze von 9.300 € im Monat auf 9.900 € im Monat erhöhen. In der knappschaftlichen Rentenversicherung sind Beschäftigte im Bergbau versichert. Sie berücksichtigt die besondere gesundheitliche Beanspruchung von Bergleuten. Das Durchschnittsentgelt in der Rentenversicherung, das zur Bestimmung der Entgeltpunkte im jeweiligen Kalenderjahr dient, soll für 2025 vorläufig 50.493 € im Jahr betragen. 2024 waren es 45.358 €. (Bundesregierung, Mitteilung vom 06.11.2024)