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WBP NEWS

Online-News für den 15.12.2024

Zivilrecht

Modernisierungsarbeiten verpflichten nur im Ausnahmefall zum Auszug
Eine andere Kammer des LG hatte den Mieter, der das Mietobjekt seit seiner Geburt bewohnt, am 07.09.2021 (Az. 63 S 415/19) zur Duldung mehrerer Modernisierungs- und Instandsetzungsarbeiten verurteilt und ihn verpflichtet, den von der Klägerin beauftragten Handwerkern den Zutritt zur Ausführung der Arbeiten jeweils nach entsprechender rechtzeitiger Ankündigung vom Montag bis Freitag im Zeitraum zwischen 7:00 Uhr und 18:00 Uhr zu gewähren. Mit mehreren Schreiben forderte die Vermieterin den Mieter zwischen Juli und September 2023 auf, für Baufreiheit zu sorgen und das Haus zu räumen, da die Bewohnbarkeit der Immobilie in der Zeit der Bauphase nicht gegeben sei. Der Mieter erwiderte darauf unter anderem, dass er nur zur Duldung und Zutrittsgewährung, nicht aber zur vorübergehenden Räumung verurteilt worden sei. Das LG teilt diese Auffassung. Der im Gesetz verwendete, dem vorangegangenen Urteil zugrundeliegende Begriff der Duldung erfasse kein aktives Handeln, sondern beschränke sich auf ein passives Zulassen der Maßnahmen und die Gewährung von Zutritt. Ein zur Duldung von Erhaltungs- und Modernisierungsarbeiten verpflichteter Mieter müsse das Mietobjekt während der Bauarbeiten nicht auf bloßes Verlangen des Vermieters räumen. Dies komme allenfalls unter sehr engen Voraussetzungen in Betracht, etwa dann, wenn die Maßnahmen bei einem baufälligen Haus nicht anders erledigt werden können. Dafür seien weder dem Ankündigungsschreiben noch den außergerichtlichen Schreiben der Klägerin oder ihrem Vortrag im hiesigen Verfahren Anhaltspunkte zu entnehmen. Dagegen spreche vielmehr, dass die Maßnahmen in einem Reihenhaus vorgenommen werden sollen, demnach – anders als in einem Mehrfamilienhaus – isoliert geplant und durchgeführt werden können, ferner der Zustand des Hauses nach der Beschreibung der Maßnahmen im Ankündigungsschreiben. Den Aufforderungen der Vermieterin das Haus zu räumen, habe daher eine rechtliche Grundlage gefehlt. Es sei vielmehr die Vermieterin nach dem vertraglichen Rücksichtnahmegebot (§ 241 Abs. 2 BGB) ihrerseits verpflichtet gewesen, bei der Planung und Durchführung der Baumaßnahmen auf den betroffenen Mieter Rücksicht zu nehmen, hier auf die gesundheitlichen Belange und das Alter des Mieters. Es erschließe sich für jedermann von selbst, dass im Rahmen der Planung der Ausführung baulicher Maßnahmen in einer Wohnung bei einem jungen, gesunden Mieter andere Belange zu berücksichtigen sind als bei einem Mieter, der das Alter von 80 Jahren bereits deutlich überschritten hat und/oder aus anderen, etwa gesundheitlichen Gründen besonders schutzbedürftig ist. Davon gehe auch das Gesetz aus, das eine Pflichtverletzung des Vermieters vermutet, wenn eine bauliche Veränderung in einer Weise durchgeführt werde, die geeignet ist, zu erheblichen, objektiv nicht notwendigen Belastungen des Mieters zu führen (§ 559d Satz 1 Nr. 3 BGB). Das LG verweist weiter darauf, dass die Rücksichtnahmepflicht bei der Planung und Ausführung von Baumaßnahmen dabei unabhängig davon bestehe, ob der Mieter fristgerecht einen Härteeinwand erhoben hat (§ 555d Abs. 2 BGB). Der Härteeinwand kann bereits die Duldungspflicht des Mieters ausschließen; das Rücksichtnahmegebot betrifft Pflichten des Vermieters bei bestehender Duldungspflicht. (LG Berlin II, Urt. v. 22.10.2024- 65 S 139/24; rkr.)

Abstract: Eine Vermieterin muss das vertragliche Rücksichtnahmegebot (§ 241 Abs. 2 BGB) beachten und ist verpflichtet, bei der Planung und Durchführung der Baumaßnahmen auf den betroffenen Mieter Rücksicht zu nehmen, u.a. muss sie die gesundheitlichen Belange und das Alter des Mieters beachten.

Steuerrecht

Vorteilsminderung bei der 1%-Regelung
Der Kläger machte bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend, der geldwerte Vorteil aus der Nutzungsüberlassung eines Dienstwagens zur Privatnutzung, den er nach der 1%-Regelung ermittelte, sei um selbst getragene Maut, Fähr- und Parkkosten sowie die Absetzung für Abnutzung (AfA) eines privat angeschafften Fahrradträgers für den Dienstwagen zu mindern. Die Maut- und Fähraufwendungen betrafen private Urlaubsreisen und Fahrten des Klägers, ebenso die Parkkosten. Finanzamt und Finanzgericht versagten die Minderung des geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung des Dienstwagens für Privatfahrten wegen dieser Kostentragung des Klägers.
Dies bestätigte der BFH. Eine Kostentragung des Arbeitgebers für Maut, Fähr- und Parkkosten, die dem Arbeitnehmer auf Privatfahrten entstünden, begründe einen eigenständigen geldwerten Vorteil des Arbeitnehmers neben dem mit der 1%-Methode pauschal bewerteten Vorteil des Arbeitnehmers aus der Nutzungsüberlassung des Fahrzeugs für Privatfahrten. Daraus ergebe sich im Umkehrschluss, dass der geldwerte Vorteil des Arbeitnehmers aus der Nutzungsüberlassung des Fahrzeugs nicht gemindert werde, wenn der Arbeitnehmer diese Aufwendungen trage. Dies gelte ebenso für die vom Arbeitnehmer auf Privatfahrten getragenen Parkkosten und für den Wertverlust aus einem vom Steuerpflichtigen erworbenen Fahrradträger in Höhe der AfA. Außerdem entschied der BFH, dass an den Steuerpflichtigen gezahlte Prozesszinsen gemäß § 236 der Abgabenordnung steuerbare und steuerpflichtige Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG sind. (BFH, Urt. v. 18.06.2024 – VIII R 32/20)

Abstract: Nur solche vom Arbeitnehmer getragenen Aufwendungen können den geldwerten Vorteil aus der Überlassung des Fahrzeugs als Einzelkosten mindern, die bei einer (hypothetischen) Kostentragung durch den Arbeitgeber Bestandteil dieses Vorteils und somit von der Abgeltungswirkung der 1%-Regelung erfasst wären.

Arbeitsrecht

Unwirksamkeit der Wartezeitkündigung eines schwerbehinderten Menschen bei fehlendem Präventionsverfahren?
Der 1984 geborene Kläger verfügt über einen Grad der Behinderung von 80 und war bei der beklagten Kommune seit dem 01.01.2023 im Bauhof beschäftigt. Am 22. Juni 2023 kündigte die Beklagte dem Kläger innerhalb der Probezeit ohne zuvor ein Präventionsverfahren durchgeführt zu haben. Das Präventionsverfahren nach §167 SGB IX stellt ein kooperatives Klärungsverfahren dar, das Arbeitgeber unter Beteiligung internen und externen Sachverstandes (insb. Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt, Rehabilitationsträger) durchführen müssen, wenn der Arbeitsplatz eines schwerbehinderten Arbeitnehmers gefährdet ist. Unterlässt der Arbeitgeber die Durchführung des Präventionsverfahrens, kann dies zur Unwirksamkeit der Kündigung führen, denn in einem solchen Fall wird vermutet, dass der Arbeitgeber den schwerbehinderten Arbeitnehmer wegen des nicht durchgeführten Präventionsverfahrens diskriminiert hat. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des BAG (Urt. v. 21.04.2016 – 8 AZR 402/14) hat das LAG entschieden, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, bei auftretenden Schwierigkeiten bereits innerhalb der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses ein Präventionsverfahren durchzuführen. Nach Auffassung des LAG ergibt sich die vom BAG vorgenommene zeitliche Begrenzung weder aus dem Wortlaut der Vorschrift, noch stützt eine Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen dieses Ergebnis. Wegen der auch vom BAG angenommenen strukturellen Probleme, ein Präventionsverfahren vor Ablauf der ersten sechs Monate („Probezeit“) zum Abschluss zu bringen, hat das LAG für diese Sonderkonstellation aber eine Beweiserleichterung zugunsten des Arbeitgebers vorgenommen, um die Wartezeitkündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen nicht faktisch vollständig auszuschließen. Im konkreten Einzelfall ist das LAG aufgrund der unstreitigen Tatsachen zu dem Ergebnis gekommen, dass die streitgegenständliche Probezeitkündigung nicht wegen der Schwerbehinderung des Klägers ausgesprochen worden war und hat die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen. (LAG Köln, Urt. v. 12.09.2024 – 6 SLa 76/24; nrkr.)

Abstract: Arbeitgeber sind verpflichtet, auch innerhalb der sog. Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG, §§ 173 Abs. 1, 168 SGB IX, in denen ein schwerbehinderter Mensch noch keinen Kündigungsschutz genießt, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.

Zivilrecht

Zulässigkeit des Sonntagsverkaufs von Dekorationsartikeln und Christbaumschmuck in einem Gartenmarkt
Die Beklagte betreibt Gartenmärkte in Nordrhein-Westfalen und verkaufte dort an einem Sonntag im November des Jahres 2022 neben Blumen und Pflanzen auch Dekorationsartikel und Christbaumschmuck. Die Klägerin hält dies für unlauter und nimmt die Beklagte auf Unterlassung in Anspruch. Das LG hat die Klage mit Blick auf das von der Klägerin begehrte Verbot des Verkaufs von künstlichen Tannenzweigen, Motivanhängern, Zimtstangen und Glaskugeln abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Unterlassungsantrag weiter.
Der BGH hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Der sonntägliche Verkauf der in Rede stehenden Waren stellt keinen Wettbewerbsverstoß dar, weil sie dem Randsortiment zuzurechnen sind. Ihr Verkauf ist deshalb nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Ladenöffnungsgesetz Nordrhein-Westfalen (LÖG NW) an Sonn- und Feiertagen zulässig. Als kleinteilige Accessoires zu den von der Beklagten hauptsächlich angebotenen Blumen und Pflanzen haben Dekorationsartikel und Christbaumschmuck lediglich ergänzenden, in Umfang und Gewichtigkeit deutlich untergeordneten Charakter. Die Zugehörigkeit von Waren zum Randsortiment i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 LÖG NW richtet sich nach ihrer hauptsächlichen Zweckbestimmung und nicht nach ihrer darüber hinaus möglichen Nutzung. Zudem muss das Randsortiment – anders als das Kernsortiment – nicht zum sofortigen Ge- oder Verbrauch bestimmt sein. Auch ist nicht erforderlich, dass Waren des Randsortiments gleichzeitig oder kombiniert mit Waren des Kernsortiments erworben werden. Es stellt keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG dar, dass das Randsortiment nur in den aufgrund ihres Kernsortiments privilegierten Verkaufsstellen sonn- und feiertags verkauft werden darf, in sonstigen Verkaufsstellen aber nicht. Die Differenzierung danach, ob das
Kernsortiment den typischerweise an Sonn- und Feiertagen anfallenden Bedarf befriedigt, ist sachlich gerechtfertigt. Urteil vom 5. Dezember 2024 – I ZR 38/24

Abstract: Der sonntägliche Verkauf von Dekorationsartikeln und Christbaumschmuck in einem Gartenmarkt verstößt nicht gegen das Ladenöffnungsgesetz Nordrhein-Westfalen.

Anforderungen an ein Gutachten
Das LSG Nordrhein-Westfalen hat ein Urteil des SG Köln in einem Rentenstreitverfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz aufgehoben und die Sache zur erneuten Beweiserhebung und Entscheidung zurückverwiesen (Urteil vom 26.01.2024, L 13 VG 9/23). Diese Möglichkeit besteht nach § 159 SGG u. a. dann, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Der Senat hat in der mit Zustimmung der Beteiligten ergangenen Einzelrichterentscheidung die Anforderungen an den medizinischen Sachverständigenbeweis konkretisiert. Für die Beweisaufnahme sei genau zwischen Anknüpfungstatsachen, also Umständen, die nicht in das Fachgebiet eines medizinischen Sachverständigenbeweises fallen, und den Tatsachen zu unterscheiden, die der Sachverständige ermitteln solle. Diese nicht-medizinischen Anknüpfungstatsachen müsse das Gericht vorgeben. Es habe vor der Erteilung eines Gutachtenauftrages auch für die Vollständigkeit der medizinischen Dokumentation zu sorgen und könne den Beteiligten aufgeben, die entsprechenden Unterlagen selbst vorzulegen. Bei der Überprüfung subjektiver Beschwerde-Angaben müsse der medizinische Sachverständige – anders als in der Rolle eines behandelnden Arztes – immer von der sog. Nullhypothese ausgehen. Alle subjektiven Angaben der von ihm zu beurteilenden Person seien so lange als unwahr anzusehen, bis ein objektiver Nachweis für ihre Richtigkeit vorliege. Er habe dazu Stellung zu nehmen, ob und aufgrund welcher objektivierbaren Fakten die geklagten Funktionsbeeinträchtigungen nach Art und Umfang tatsächlich bestehen, was eine eingehende Konsistenzprüfung durch kritische Zusammenschau von Exploration, Untersuchungsbefunden, Verhaltensbeobachtung und Aktenlage voraussetze. Die Beklagte hat die zugelassene Revision beim BSG (Az. B 9 VG 1/24 R) eingelegt, um höchstrichterlich insbesondere klären zu lassen,
a) welche Qualitätsanforderungen an ein versorgungsmedizinisches Sachverständigengutachten zu stellen sind und
b) wie weit die Pflicht des Sozialgerichts zur Ermittlung von Anknüpfungstatsachen vor der Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens reicht. (LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 26.01.2024 – L 13 VG 9/23)