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WBP NEWS

Online-News für den 01.05.2022

Zivilrecht

Entschädigung für Fluggäste auch bei Vorverlegung des Fluges um mehr als eine Stunde
Der klagende Familienvater hatte 2018 beim Sommerurlaub doppeltes Pech. Der Hinflug hatte eine Verspätung von mehr als drei Stunden, ausgehend von den Flugzeiten in der Reisebestätigung, die das Reisebüro dem klagenden Familienvater für alle Familienmitglieder ausgehändigt hatte. Der Rückflug wurde um mehr als eine Stunde vorverlegt. Das LG entschied, dass der Reisende sich grundsätzlich auf die Flugzeiten verlassen darf, die das Reisebüro ihm in der Reisebestätigung mitteilt, wenn diese den Anschein erwecken, verbindlich zu sein. Ausgehend von diesen Flugzeiten wird die Verspätung bzw. Vorverlegung berechnet, ausgehend von diesen Flugzeiten kann der Reisende von der Fluggesellschaft Entschädigung verlangen. Unerheblich ist, ob die Fluggesellschaft diese Reisezeiten auch gegenüber dem Reisebüro bestätigt hat. Bevor das LG dem Familienvater jetzt im Urteil 3.200,00 € Entschädigung zugesprochen hat, hat es den EuGH zu mehreren Rechtsfragen angerufen. Auf die Vorlageentscheidung vom 06.04.2020 hat der EuGH am 21.12.2021 (C-146/20, C-188/20, C-196/20 und C-270/20) unter anderem entschieden, dass ein Flug als „annulliert“ zu betrachten ist, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt, und dass eine vom Reiseunternehmen ausgestellte Buchungsbestätigung für die Flüge einer Bestätigung durch die Fluggesellschaft gleichsteht. (LG Düsseldorf, Urt. v. 11.04.2022 – 22 S 352/19; rkr.)

Abstract: Ein Flug, der um mehr als eine Stunde nach vorn verlegt wird, gilt als annuliert. Damit kann der Fluggast von der Fluggesellschaft Entschädigung verlangen. Das gilt selbst dann, wenn der Fluggast den Flug in Anspruch nimmt.

Verwaltungsrecht

Privater Bestattungsplatz
Der Beklagte hat das Begehren mit der Begründung abgelehnt, aufgrund der verbreiteten Scheu vor dem Tod und der Totenruhe könne nur bei besonders atypischen Gegebenheiten oder Härtefällen die Beisetzung auf einem privaten Bestattungsplatz erlaubt werden. Das sei hier nicht der Fall. Der Wunsch, in der eigenen Hofkapelle beigesetzt zu werden, stelle keinen ausreichenden Grund dar. Die unter anderem vom Kläger geltend gemachten Schwierigkeiten bei der Grabpflege beträfen viele Verstorbene und könnten daher nicht zur Annahme eines Einzelfalles führen. Dem schlossen sich die Richter des VerwG nicht an und verpflichteten den Beklagten zur Erteilung der begehrten Genehmigung. Zur Begründung führten sie aus, nach der maßgeblichen Regelung des rheinland-pfälzischen Bestattungsgesetzes, gegen die keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestünden, könnten private Bestattungsplätze nur angelegt werden, wenn ein berechtigtes Bedürfnis oder Interesse bestehe und öffentliche Interessen oder schutzwürdige Belange Dritter nicht beeinträchtigt würden. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Aufgrund der festzustellenden gesellschaftlichen Entwicklungen komme der Erwägung, die Gesellschaft sei vor einer ständigen Auseinandersetzung mit dem Tod zu schützen, da andernfalls eine Beunruhigung oder sonstige negative psychologische Ausstrahlungswirkungen zu befürchten seien, inzwischen ein weniger ausschlaggebendes Gewicht zu. Dieser Gesichtspunkt lasse, anders als noch im Zeitpunkt der bislang in Rheinland-Pfalz ergangenen Gerichtsentscheidungen, die bislang vorherrschende, äußerst restriktive Auslegung der maßgeblichen Ausnahmevorschrift nicht mehr zu. Vielmehr vermöge dieser Gesichtspunkt – für sich gesehen – einen entgegenstehenden öffentlichen Belang nur dann zu begründen, wenn der Gesellschaft eine Auseinandersetzung mit dem Tod aufgedrängt werde, die über das gewöhnliche Maß hinausgehe und auch angesichts der inzwischen offeneren gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Tod weiterhin die vom Gesetzgeber befürchtete Beunruhigung oder gar psychische Belastung der Bevölkerung befürchten lasse. Das sei im vorliegenden Einzelfall jedoch fernliegend. Des Weiteren seien weder Beeinträchtigungen der Totenruhe noch gesundheitliche Gefahren für die Allgemeinheit zu erwarten. Ferner bestehe im Falle des Klägers auch ein berechtigtes Interesse an der Anlegung eines privaten Bestattungsplatzes, denn der Kläger verfüge mit seiner Hofkapelle über einen Ort, der für eine Urnenbeisetzung besonders geeignet sei und dort könne die Beisetzung in angemessener und pietätvoller Weise durchgeführt werden. (VG Trier, Urt. v. 29.03.2022 – 7 K 3746/21.TR; nrkr.)

Abstract: Einem Kläger ist eine Genehmigung zur Anlegung eines privaten Bestattungsplatzes für zwei Urnenbestattungen in der Hofkapelle auf seinem Grundstück zu erteilen.

Arbeitsrecht

Gefälschte Impfunfähigkeitsbescheinigung
Die Klägerin ist bei der beklagten Klinik seit 2001 als Krankenschwester beschäftigt. Auf die Anweisung der Arbeitgeberin im Zuge der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, den Impf- bzw. Genesenenstatus nachzuweisen oder ein ärztliches Impfunfähigkeitszeugnis vorzulegen, hat die Klägerin ihrer Arbeitgeberin eine Bescheinigung vorgelegt, die eine sechsmonatige vorläufige Impfunfähigkeit ausweist und die Unterschrift einer Ärztin aus Süddeutschland enthält. Die Bescheinigung wurde aus dem Internet ausgedruckt. Eine – sei es digitale – Besprechung mit der Ärztin fand nicht statt. Die Beklagte hat das Gesundheitsamt informiert und außerdem der Klägerin im Januar 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.07.2022 gekündigt. In ihrer Kündigungsschutzklage führte die Klägerin u. a. aus, dass die Vorlage einer solchen Bescheinigung nicht zu beanstanden sei und § 20a IFSG weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen der Arbeitgeberin gegenüber ihren Beschäftigten ausschlösse. Allein das Gesundheitsamt könne in dieser Situation handeln und eine ärztliche Untersuchung der betroffenen Mitarbeiterin veranlassen. Dem ist das Arbeitsgericht, wie in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, nicht gefolgt. Die hilfsweise ordentliche Kündigung unter Einhaltung der geltenden Kündigungsfrist war aufgrund des Fehlverhaltens der Klägerin sozial gerechtfertigt und damit wirksam. Dagegen war die fristlose Kündigung angesichts der sehr langen Betriebszugehörigkeit unverhältnismäßig. Die Vorlage einer vorgefertigten ärztlichen Impfunfähigkeitsbescheinigung, ohne dass vorher eine Untersuchung erfolgt ist, stellt eine sehr schwere Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten dar, die das Vertrauen in eine ungestörte weitere Zusammenarbeit auch ohne vorherige Abmahnung zerstört. Es musste der Klägerin klar sein, dass die vorgelegte Bescheinigung zwar bei der Arbeitgeberin den Anschein eines ärztlichen Zeugnisses erwecken würde, aber in Wahrheit nicht auf einer ärztlichen Untersuchung beruhte. Aus § 20a IFSG ergibt sich für eine solche Konstellation kein arbeitsrechtliches Kündigungsverbot. (ArbG Lübeck, Urt. v. 13.04.2022 – 5 Ca 189/22; nrkr.)

Abstract: Wer seiner Arbeitgeberin eine aus dem Internet ausgedruckte ärztliche „Bescheinigung über die vorläufige Impfunfähigkeit“ vorlegt, ohne dass eine Untersuchung durch die bescheinigende Ärztin erfolgt ist, riskiert die Kündigung seines langjährigen Arbeitsverhältnisses.

Zivilrecht

Internet ist kein rechtsfreier Raum – Zur Nutzung einer Internet-Domain unter fremdem Namen u. a.
Obwohl die Klägerin und der Beklagte bereits seit dem Jahr 2014 geschieden sind, ist ihr Verhältnis weiterhin nachhaltig zerrüttet. So betrieb der Beklagte eine Internetseite unter dem Vor- und Nachnamen der Klägerin und veröffentlichte dort Inhalte über diese. Hierbei entstand der Eindruck, die Klägerin selbst habe das veranlasst. Der Beklagte hatte die Klägerin auch als „vollkommen dumm“, als „Dieb(in)“, „Lügner(in)“ und „Betrüger(in)“ bezeichnet. Nicht zuletzt veröffentlichte er ein Foto, auf dem das Gesäß der Klägerin nahezu unbekleidet zu sehen war. Aufforderungen der Klägerin, die Internetseite freizugeben und das Foto von ihr zu entfernen, war der Beklagte nicht nachgekommen. Auch eine Geldentschädigung im niedrigen vierstelligen Bereich und die Rechtsanwaltskosten der Klägerin mochte der Beklagte nicht zahlen. Er meinte vielmehr, sein Tun sei rechtlich nicht zu beanstanden. Weder sei das Namensrecht der Klägerin verletzt noch deren Recht am eigenen Bild. Das LG gab der Klägerin teilweise Recht. Danach hat der Beklagte die Verwendung der Internet-Domain unter dem Namen der Klägerin zu unterlassen und diese sogar gänzlich freizugeben. In der Registrierung und Verwendung dieser Domain sah das Gericht das Namensrecht der Klägerin verletzt. Der Beklagte hat mit der Nutzung des Namens seiner geschiedenen Ehefrau den falschen Eindruck erweckt, die Klägerin selbst betreibe diese Seite und habe die Veröffentlichungen veranlasst. Das durfte der Beklagte nicht. Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Unterlassung der Veröffentlichung des Fotos. Zwar zeigte das Bild die Rückenansicht der Klägerin und deren mit Tangaunterwäsche bekleidetes Gesäß, ohne dass Gesichtszüge oder sonstige individuelle Merkmale der Klägerin zu sehen waren. Allerdings ergibt sich nach der Entscheidung des Gerichts der Bezug zur Klägerin aus dem Namen der Internetseite und aus dem Begleittext zum Bild. Dort hatte der Beklagte in der Ich-Form über die Mutterrolle der Klägerin in der zerbrochenen Ehe geschrieben und das Foto selbst dazu genutzt, um die Aussage „Man zeigt seinen Kindern den Arsch“ zu unterstreichen. Hierdurch wurde das Recht der Klägerin am eigenen Bild verletzt. Demgegenüber sah das Gericht die Voraussetzungen für die verlangte Geldentschädigung nicht als gegeben an. Diese kommt nur bei schwerwiegenden Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Verletzten in Betracht, beispielsweise bei schweren Eingriffen in die Intim- oder Privatsphäre. So lag der Fall hier aber nicht. Ein Nacktfoto des Intimbereichs der Klägerin war nicht betroffen und vergleichbare Bilder eines mit Tangaunterwäsche bekleideten Gesäßes sind nach der Entscheidung des Gerichts beispielsweise auch in wöchentlich erscheinenden Werbeprospekten nichts Ungewöhnliches. Nach dem Begleittext war auch auszuschließen, dass die Klägerin durch das Bild zu einem bloßen Lustobjekt gemacht werden sollte. Wegen ihres engen Zusammenhangs mit einer Aussage der Klägerin als Zeugin in einem Strafverfahren sah das Gericht auch in den ehrenrührigen Bezeichnungen der Klägerin durch den Beklagten die Schwelle zu einer strafbaren Beleidigung noch nicht überschritten.
Zuletzt musste der Beklagte die Rechtsanwaltskosten der Klägerin teilweise übernehmen. (LG Coburg, Urt. v. 29.09.2021 – 12 O 68/21; rkr)

Abstract: Nur bei schwerwiegenden Eingriffen in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Verletzten kommt eine Geldentschädigung in Betracht, beispielsweise bei schweren Eingriffen in die Intim- oder Privatsphäre. Bilder eines mit Tangaunterwäsche bekleideten Gesäßes sind beispielsweise auch in wöchentlich erscheinenden Werbeprospekten nichts Ungewöhnliches.

Corona-Prämien sind pfändbar
Nach einer Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg vom 25.04.2022 sind tariflichen Corona-Prämien im Bereich des regionalen Nahverkehrs für die Jahre 2020 und 2021 kein unpfändbares Arbeitseinkommen und können unter Beachtung der Pfändungsfreigrenzen gepfändet werden.