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WBP NEWS

Online-News für den 15.04.2022

Zivilrecht

Ausgleichsleistung für verspäteten Flug von einem Nicht-EU-Luftfahrtunternehmen
Drei Fluggäste buchten über ein Reisebüro mit einer einzigen Buchung bei Lufthansa einen Flug von Brüssel nach San José (Vereinigte Staaten) mit Zwischenlandung in Newark (Vereinigte Staaten). Der gesamte Flug wurde von United Airlines, einem in den Vereinigten Staaten ansässigen Luftfahrtunternehmen, durchgeführt. Die drei Fluggäste erreichten ihr Endziel mit einer Verspätung von 223 Minuten. Das Unternehmen Happy Flights, das nun Inhaber ihrer Forderung ist, reichte bei der Nederlandstalige Ondernemingsrechtbank Brussel (Niederländischsprachiges Unternehmensgericht Brüssel, Belgien) eine Klage auf Zahlung einer Ausgleichsleistung gegen United Airlines ein und berief sich dabei auf die Anwendbarkeit der EU-Fluggastrechteverordnung.
Der EuGH hat zunächst darauf hingewiesen, dass ein Flug mit einmaligem oder mehrmaligem Umsteigen, der Gegenstand einer einzigen Buchung war, für die Zwecke des nach dem Unionsrecht vorgesehenen Ausgleichsanspruchs der Fluggäste eine Gesamtheit darstellt. Die Anwendbarkeit der Fluggastrechteverordnung muss nämlich im Hinblick auf den ersten Abflugort und das Endziel des Fluges beurteilt werden. Der EuGH hat außerdem klargestellt, dass das Nicht-EU-Luftfahrtunternehmen (United Airlines), das mit den Fluggästen keinen Beförderungsvertrag geschlossen hat, den Flug aber durchgeführt hat, die Ausgleichsleistung für Fluggäste schulden kann. Das Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen seiner Tätigkeit der Beförderung von Fluggästen die Entscheidung trifft, einen bestimmten Flug durchzuführen – die Festlegung der Flugroute eingeschlossen – ist nämlich das ausführende Luftfahrtunternehmen. Dieses Luftfahrtunternehmen wird daher als im Namen des vertraglichen Luftfahrtunternehmens handelnd angesehen. Der EuGH hat allerdings betont, dass dem ausführenden Luftfahrtunternehmen (United Airlines), das verpflichtet ist, einem Fluggast eine Ausgleichsleistung zu zahlen, das Recht vorbehalten bleibt, nach geltendem nationalen Recht bei anderen Personen, auch Dritten, Regress zu nehmen. Bezüglich der Gültigkeit der Fluggastrechteverordnung im Hinblick auf den völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz, nach dem jeder Staat die vollständige und ausschließliche Hoheit über seinen Luftraum besitzt, hat der EuGH klargestellt, dass ein Flug mit Umsteigen aus dem Grund in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, dass die Fluggäste ihre Reise auf einem Flughafen in einem Mitgliedstaat angetreten haben. Der EuGH hat außerdem darauf hingewiesen, dass dieses Anwendungskriterium die Voraussetzungen für die Anwendung des Grundsatzes der vollständigen und ausschließlichen Hoheit eines Staates über seinen Luftraum nicht beeinträchtigt.

Abstract: Fluggäste eines verspäteten Fluges können von einem Nicht-EU-Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichsleistung verlangen, wenn dieses Unternehmen den gesamten Flug im Namen eines EU-Luftfahrtunternehmens durchgeführt hat. Die EU-Fluggastrechteverordnung verstößt nicht gegen den Grundsatz der vollständigen und ausschließlichen Hoheit eines Staates über seinen Luftraum.

Sozialrecht

Arbeitsplatzbewerberin bei Betriebsbesichtigung gesetzlich unfallversichert
Die arbeitsuchende Klägerin absolvierte bei einem Unternehmen ein unentgeltliches eintägiges „Kennenlern-Praktikum“ auf der Grundlage einer „Kennenlern-/Praktikums-Vereinbarung“ mit diesem Unternehmen. Während des „Kennenlern-Praktikums“ fanden unter anderem Gespräche, eine Betriebsführung, ein fachlicher Austausch mit der IT-Abteilung und zum Abschluss die Besichtigung eines Hochregallagers statt. Bei der Besichtigung des Hochregallagers stürzte die Klägerin und brach sich den rechten Oberarm.
Anders als die beklagte Berufsgenossenschaft und die Vorinstanzen hat das BSG festgestellt, dass die Klägerin einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalles Teilnehmerin einer Unternehmensbesichtigung. Teilnehmer einer Unternehmensbesichtigung sind nach der Satzung der beklagten Berufsgenossenschaft – im Unterschied zu Satzungen anderer Unfallversicherungsträger – unfallversichert. Das eigene – unversicherte – Interesse der Klägerin am Kennenlernen des potenziellen zukünftigen Arbeitgebers steht dem Unfallversicherungsschutz kraft Satzung hier nicht entgegen. Die Satzungsregelung der Beklagten ist nicht auf Personen beschränkt, deren Aufenthalt im Unternehmen ausschließlich der Besichtigung dient. Unternehmer sollen vielmehr umfassend von Haftungsrisiken befreit werden, die durch erhöhte Gefahren bei Unternehmensbesuchen entstehen können. (BSG, Urt. v. 31.03.2022 – B 2 U 13/20 R)

Abstract: Eine Arbeitsplatzbewerberin steht bei der Besichtigung des Unternehmens im Rahmen eines eintägigen unentgeltlichen „Kennenlern-Praktikums“ unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Arbeitsrecht

Fristlose Kündigung eines Betriebsrats
Der Kläger ist seit September 1997 bei der Beklagten als Entwicklungsingenieur am Standort F. beschäftigt. Seit 2006 ist er Mitglied des Betriebsrats und seit 2014 freigestelltes Betriebsratsmitglied. Im vorliegenden Verfahren streiten die Parteien über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 18.01.2019, zu der das Betriebsratsgremium seine Zustimmung erteilt hat. Die Beklagte begründet diese Kündigung damit, dass der Kläger mit der Veröffentlichung von Prozessakten aus einem vorherigen Kündigungsschutzverfahren zwischen den Parteien, insbesondere von Schriftsätzen der Beklagten, gegen Bestimmungen des Datenschutzrechts verstoßen habe. In den Schriftsätzen der Beklagten seien auch personenbezogene Daten, insbesondere auch Gesundheitsdaten, weiterer Mitarbeiter der Beklagten unter voller Namensnennung enthalten gewesen. Diese personenbezogenen Daten habe der Kläger einem größeren Verteilerkreis mithilfe eines Zugriffs auf eine sogenannte Dropbox offenbart. Der Kläger ist der Auffassung, dass die Kündigung unwirksam ist. Es bestehe keine Vorschrift, die es gebiete, Prozessakten geheim zu halten, im Übrigen sei ein Datenschutzverstoß schon  deshalb abzulehnen, nachdem er mit Blick auf Art. 2 Abs. 2c DS-GVO ausschließlich im Rahmen „persönlicher oder familiärer Tätigkeiten“ gehandelt habe. Außerdem habe er auch im berechtigten Eigeninteresse gehandelt, denn ihm stehe das Recht zu, zu dem Fall Stellung zu nehmen und zu informieren, insbesondere im Hinblick auf die ihn als Familienvater und Betriebsratsmitglied zutiefst belastenden Vorwürfe. Das ArbG hat mit Urteil vom 04.08.2021 den Kündigungsschutzantrag mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger mit der Veröffentlichung weiter Teile der Prozessakten durch die Zurverfügungstellung des Dropbox-Links in rechtswidriger Weise gegen Bestimmungen des Datenschutzrechts verstoßen hat.
Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zum LAG blieb ohne Erfolg. Wer im Rahmen eines von ihm angestrengten Gerichtsverfahrens bestimmte Schriftsätze der Gegenseite, in denen Daten, insbesondere auch besondere Kategorien personenbezogener Daten (Gesundheitsdaten), verarbeitet werden, der Betriebsöffentlichkeit durch die Verwendung eines zur Verfügung gestellten Links offenlegt und dadurch auch die Weiterverbreitungsmöglichkeit eröffnet, ohne dafür einen rechtfertigenden Grund zu haben, verletzt rechtswidrig und schuldhaft Persönlichkeitsrechte der in diesen Schriftsätzen namentlich benannten Personen mit der Folge, dass vorliegend die außerordentliche Kündigung der Beklagten gerechtfertigt ist. Die Wahrnehmung berechtigter Interessen des Klägers lag jedenfalls insofern nicht vor, als die Entscheidungsgründe des Urteils des ArbG am Tage der Zurverfügungstellung des Links noch nicht vorlagen und dem Kläger auch noch die Möglichkeit offenstand, gegen das Urteil das Rechtsmittel der Berufung einzulegen, um in diesem Verfahren seinen Standpunkt darzulegen. (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 25.03.2022 – 7 Sa 63/21)

Abstract: Wer im Rahmen eines von ihm angestrengten Gerichtsverfahrens bestimmte Schriftsätze der Gegenseite, in denen Daten, insbesondere auch besondere Kategorien personenbezogener Daten (Gesundheitsdaten), verarbeitet werden, der Betriebsöffentlichkeit durch die Verwendung eines zur Verfügung gestellten Links offenlegt und dadurch auch die Weiterverbreitungsmöglichkeit eröffnet, ohne dafür einen rechtfertigenden Grund zu haben, verletzt rechtswidrig und schuldhaft Persönlichkeitsrechte der in diesen Schriftsätzen namentlich benannten Personen mit der Folge, dass vorliegend die außerordentliche Kündigung der Beklagten gerechtfertigt ist.

Erbrecht

Verlangen der Korrektur eines Nachlassverzeichnisses beinhaltet nicht mittelbar die Forderung des Pflichtteils
Die Erblasserin war Witwe. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor, von denen eines vorverstorben war und seinerseits zwei Kinder hinterließ. Einige Jahre vor dem Tod des erstverstorbenen Ehemannes errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben einsetzten und ihre Kinder, ersatzweise deren Abkömmlinge zu Schlusserben des Längstlebenden beriefen. Für den Fall, dass einer der Schlusserben nach dem Tod des Erstverstorbenen seinen Pflichtteil fordert, bestimmten die Eheleute, dass er dann auch nach dem Längstlebenden nur seinen Pflichtteil erhalten solle (sog. Pflichtteilsstrafklausel). Nach dem Tod des Ehemanns forderte die Beschwerdeführerin die Erblasserin auf, ihr ein Nachlassverzeichnis vorzulegen und verlangte nach dessen Zusendung eine Nachbesserung sowie die Vorlage eines Wertgutachtens betreffend einer in den Nachlass fallenden Immobilie. Zu einer Auszahlung oder einer gerichtlichen Geltendmachung des Pflichtteils kam es nicht. Als auch die Erblasserin gestorben war, beantragte die Antragstellerin als eine der Schlusserben einen gemeinschaftlichen Erbschein auf der Grundlage des gemeinschaftlichen Testaments der Eheleute. Sie berücksichtigte dabei allerdings nicht die Beschwerdeführerin, da diese ihren Erbanteil verwirkt habe. Das Nachlassgericht kündigte mit dem angefochtenen Beschluss den Erlass des beantragten Erbscheins an. Hiergegen legte die Beschwerdeführerin Beschwerde mit dem Argument ein, sie habe nicht ihren Pflichtteil nach dem Tod des Erstverstobenen von der nunmehrigen Erblasserin gefordert.
Das OLG gab ihr Recht. Die Pflichtteilsstrafklausel sei vorliegend nicht erfüllt. Auch wenn das Einfordern des Nachlassverzeichnisses und die hieran geübte Kritik zu einer Belastung der überlebenden Ehegattin geführt habe, sei darin allein noch kein Fordern des Pflichtteils nach § 2303 Abs. 1 BGB zu sehen, sondern zunächst nur das Verlangen einer Auskunft über den Wert des Nachlasses im Sinne von § 2314 Abs. 1 BGB. Auf eine solche Auskunft sei der Pflichtteilsberechtigte angewiesen, um eine für ihn sinnvolle Entscheidung treffen zu können. Eheleute, die bereits den überlebenden Ehegatten vor einem Auskunftsverlangen der Schlusserben schützen wollten, müssten dies ihm Rahmen der testamentarischen Pflichtteilsstrafklausel deutlich zum Ausdruck bringen. (OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 01.02.2022 – 21 W 182/21)

Abstract: Setzen sich Eheleute in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig zu Alleinerben und ihre Kinder zu Schlusserben des Längstlebenden ein, wird häufig eine sog. Pflichtteilsstrafklausel vereinbart. Danach verliert ein Schlusserbe seinen Erbanspruch nach dem Längstlebenden, wenn er schon nach dem Tod des Erstverstobenen seinen Pflichtteil fordert. Er erhält dann auch nach dem Tod des Längstlebenden nur seinen Pflichtteil. Eine solche Pflichtteilsstrafklausel ist nicht bereits dann erfüllt, wenn der Schlusserbe nach dem Tod des Erstversterbenden eine Korrektur des ihm vorgelegten Nachlassverzeichnisses fordert.

Neuer Mindestlohn
Der Bundesrat unterstützt die Pläne der Bundesregierung, den Mindestlohn zum 1. Oktober per Gesetz auf 12 € zu erhöhen. Vorgesehen ist, ab dann den gesetzlichen Mindestlohn auf 12 € brutto pro Stunde anzuheben. Daneben soll die Mini-Job-Grenze auf 520 € angehoben werden. Derzeit beträgt der Mindestlohn 9,82 €, zum 1. Juli steigt er turnusmäßig auf 10,45 €. Die Bundesregierung will auch die Höchstgrenze für so genannte Midi-Jobs, also eine Beschäftigung im Übergangsbereich, von derzeit 1.300 € um 300 € auf 1.600 € monatlich anheben, um sozialversicherungspflichtige Beschäftigte mit geringem Arbeitsentgelt stärker als bisher zu entlasten.