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WBP NEWS

Online-News für den 01.09.2020

UWG

Gesonderte Ausweisung von „Pfand“
Der Kläger ist ein Verein, der die Einhaltung der Wettbewerbsregeln überwacht. Die Beklagte vertreibt Lebensmittel. In einer Werbebroschüre bewarb sie im Herbst 2018 u. a. Getränke in Pfandflaschen und Joghurt in Pfandgläsern. Das Pfand war in die angegebenen Preise nicht eingerechnet, sondern mit dem Zusatz „zzgl. … Euro Pfand“ angegeben. Der Kläger hält dies für unzulässig. Er meint, nach § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV müsse der Gesamtpreis angegeben werden. Er nimmt die Beklagte deshalb auf Unterlassung der beanstandeten Werbung in Anspruch. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und verweist auf die Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 4 PAngV, wonach das Pfand gesondert ausgewiesen werden muss. Das LG hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten vor dem OLG hatte Erfolg.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch nicht zu. Die Werbung mit der beanstandeten Preisauszeichnung ist nicht wettbewerbswidrig. Sie entspricht der Vorschrift des § 1 Abs. 4 PAngV. Hierauf kann sich die Beklagte auch berufen, obwohl § 1 Abs. 4 PAngV europarechtswidrig ist und deshalb nicht mehr angewendet werden darf. Es kann offenbleiben, ob das Pfand überhaupt ein Bestandteil des nach § 1 Abs. 1 PAngV anzugebenden Gesamtpreises ist. Selbst wenn das so wäre, kann sich die Beklagte für ihre Preisauszeichnung auf § 1 Abs. 4 PAngV berufen. Die Vorschrift verstößt zwar gegen Europarecht, denn nationale Vorschriften zu Preisangaben müssen mit den Vorgaben aus EU-Richtlinien in Einklang stehen. § 1 Abs. 4 PAngV kann jedoch weder auf die europäische Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken noch auf die europäische Preisangaben-Richtlinie zurückgeführt werden. § 1 Abs. 4 PAngV ist deshalb richtlinienwidrig, was zur Folge hat, dass ein Gericht die Vorschrift nicht mehr anwenden darf. Gleichwohl ist sie geltendes Recht und deshalb für den Einzelnen bindend und von ihm zu beachten. Die Preisauszeichnung der Beklagten entspricht somit dem, was das Recht von ihr verlangt. Ein rechtlich gebotenes Verhalten kann aber niemals die Grundlage für eine Verurteilung sein, in der unter Androhung von Ordnungsmitteln aufgegeben wird, dieses Verhalten zu unterlassen. Eine solche Verurteilung wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren, denn wer sich rechtstreu verhält, muss die Gewissheit haben, dafür nicht belangt zu werden. Die Folge des Widerspruchs zwischen der Nichtanwendbarkeit und der Gültigkeit des § 1 Abs. 4 PAngV kann deshalb nur die Abweisung der Unterlassungsklage sein. (OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 30.07.2020 – 6 U 49/19; Rev. zugelassen)

Abstract: Entspricht die Preisauszeichnung für Waren in Pfandbehältnissen einer gültigen nationalen Vorschrift, so kann die Werbung mit einer solchen Preisauszeichnung auch dann nicht verboten werden, wenn die nationale Vorschrift europarechtswidrig ist und deshalb nicht mehr angewendet werden darf.

Steuerrecht

Fehlende Gemeinnützigkeit bei unverhältnismäßig hohen Geschäftsführervergütungen
Das Finanzamt hatte einer gGmbH, die sich in der psychiatrischen Arbeit engagiert und in erster Linie Leistungen im Bereich der Gesundheits- und Sozialbranche erbringt, wegen unangemessen hoher Geschäftsführerbezüge die Gemeinnützigkeit für die Jahre 2005 bis 2010 versagt. Das Finanzgericht (FG) hatte die dagegen erhobene Klage abgewiesen. Der BFH bestätigte diese Entscheidung im Wesentlichen. Die Revision der Klägerin war allein in Bezug auf die Streitjahre 2006 und 2007 erfolgreich, weil das FG für das Jahr 2006 nicht berücksichtigt hatte, dass die Angemessenheitsgrenze lediglich geringfügig (um ca. 3.000 €) überschritten war und es für das Jahr 2007 unterlassen hatte, bei der Angemessenheitsprüfung einen Sicherheitszuschlag anzusetzen.
Ob im Einzelfall unverhältnismäßig hohe Vergütungen anzunehmen sind, ist durch einen sog. Fremdvergleich zu ermitteln. Als Ausgangspunkt hierfür können allgemeine Gehaltsstrukturuntersuchungen für Wirtschaftsunternehmen herangezogen werden, ohne dass dabei ein „Abschlag“ für Geschäftsführer von gemeinnützigen Organisationen vorzunehmen ist. Da sich der Bereich des Angemessenen auf eine Bandbreite erstreckt, sind nur diejenigen Bezüge als unangemessen zu bewerten, die den oberen Rand dieser Bandbreite um mehr als 20% übersteigen. Liegt ein unangemessen hohes Geschäftsführergehalt vor, ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsprinzips ein Entzug der Gemeinnützigkeit allerdings erst dann gerechtfertigt, wenn es sich nicht lediglich um einen geringfügigen Verstoß gegen das Mittelverwendungsgebot handelt. Das Urteil ist von weitreichender Bedeutung für die Besteuerung gemeinnütziger Körperschaften, da es die Grundlagen für die Ermittlung von noch zulässigen Geschäftsführerbezügen aufzeigt und diese Grundsätze auch auf andere Geschäftsbeziehungen mit gemeinnützigen Körperschaften (z.B. Miet-, Pacht-, Darlehensverträge) angewendet werden können. (BFH, Urt. v. 12.03.2020 – V R 5/17)

Abstract: Gewährt eine gemeinnützige Körperschaft ihrem Geschäftsführer unverhältnismäßig hohe Tätigkeitsvergütungen, liegen sog. Mittelfehlverwendungen vor, die zum Entzug ihrer Gemeinnützigkeit führen können.

Arbeitsrecht

Mindestlohn für Einsatz in der umfassenden häuslichen Betreuung
Die Klägerin, eine bulgarische Staatsangehörige, wurde auf Vermittlung einer deutschen Agentur, die mit dem Angebot „24 Stunden Pflege zu Hause“ wirbt, von ihrem in Bulgarien ansässigen Arbeitgeber nach Deutschland entsandt, um eine hilfsbedürftige 96-jährige Dame zu betreuen. In dem Arbeitsvertrag der Klägerin war eine Arbeitszeit von 30 Stunden wöchentlich vereinbart. In dem Betreuungsvertrag mit der zu versorgenden Dame war eine umfassende Betreuung mit Körperpflege, Hilfe beim Essen, Führung des Haushalts und Gesellschaftleisten und ein Betreuungsentgelt für 30 Stunden wöchentlich vereinbart. Die Klägerin war gehalten, in der Wohnung der zu betreuenden Dame zu wohnen und zu übernachten. Mit ihrer Klage hat die Klägerin Vergütung von 24 Stunden täglich für mehrere Monate gefordert und zur Begründung ausgeführt, sie sei in dieser Zeit von 6.00 Uhr morgens bis etwa 22.00/23.00 Uhr im Einsatz gewesen und habe sich auch nachts bereithalten müssen, falls sie benötigt werde. Sie habe deshalb für die gesamte Zeit einen Anspruch auf den Mindestlohn. Der Arbeitgeber hat die behaupteten Arbeitszeiten bestritten und sich auf die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit berufen.
Das LAG hat der Klägerin den geforderten Mindestlohn ausgehend von einer täglichen Arbeitszeit von 21 Stunden zugesprochen. Zur Begründung hat das LAG ausgeführt, die Berufung des Arbeitgebers auf die vereinbarte Begrenzung der Arbeitszeit auf 30 Stunden sei treuwidrig, wenn eine umfassende Betreuung zugesagt sei und die Verantwortung sowohl für die Betreuung als auch die Einhaltung der Arbeitszeit der Klägerin übertragen werde. Es sei Aufgabe des Arbeitgebers, die Einhaltung von Arbeitszeiten zu organisieren, was hier nicht geschehen sei. Die angesetzte Zeit von 30 Stunden wöchentlich sei für das zugesagte Leistungsspektrum im vorliegenden Fall unrealistisch. Die zuerkannte vergütungspflichtige Zeit ergebe sich daraus, dass neben der geleisteten Arbeitszeit für die Nacht von vergütungspflichtigem Bereitschaftsdienst auszugehen sei. Da es der Klägerin jedoch zumutbar gewesen sei, sich in einem begrenzten Umfang von geschätzt drei Stunden täglich den Anforderungen zu entziehen, sei eine vergütungspflichtige Arbeitszeit von täglich 21 Stunden anzunehmen. (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 17.08.2020 – 21 Sa 1900/19)

Abstract: Die Arbeitnehmerin, die von 6.00 Uhr bis etwa 22.00/23.00 Uhr zur Pflege einer Person im Einsatz ist und die sich auch nachts bereithalten muss, falls sie benötigt werde, hat einen Anspruch auf Zahlung des Mindestlohns für 21 Stunden täglich.

Zivilrecht

Schadensersatz wegen illegalem Download-Angebot via Tauschbörse
Die Klägerin macht Ansprüche aus Verletzung ihrer Urheberrechte an dem Film „Für immer Single?“ geltend. Im Zeitraum vom 31.05.2014 23:34:29 bis 01.06.2014 00:27:45 Uhr wurde das Werk „Für immer Single?“ von der IP-Adresse, die der Beklagten zugeordnet werden konnte, zum Download angeboten. Die Klägerin beauftragte einen Dienstleister mit der Ermittlung von IP-Adressen, über die der kurz zuvor erschienene Film illegal zum Download angeboten würde. Auf Grundlage dessen Ermittlungsergebnisses beantragte sie erfolgreich beim zuständigen Gericht, den Provider zur Herausgabe der dieser IP-Adresse zuordnenbaren Personendaten des Anschlussinhabers zu verpflichten. Die Klägerin mahnte die so ermittelte Beklagte am 12.06.2014 schriftlich ab und forderte sie auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben und – insoweit erfolglos – ihr Schadensersatz und die bis dahin entstandenen Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Die Beklagte behauptet, dass sie es nicht gewesen sei. Sie habe sich zum fraglichen Zeitpunkt im Bett befunden. Der Computer könnte mittels internen Passworts von jedem in der Familie benutzt werden. Nachts sei der Computer auch immer ausgeschaltet. Der WLAN-Zugang sei ordnungsgemäß per WPA 2 verschlüsselt und mit Passwort gesichert gewesen. In der Familie sei darüber gesprochen worden, dass keine geschützten Inhalte heruntergeladen werden dürften und man sei sich einig gewesen, dass man keine File-Sharing-Software benutzen wollte. Es habe nicht aufgeklärt werden können, wer den PC benutzt habe. Es könne sich daher nur um einen selbständigen Datentransfer oder einen Hackerangriff gehandelt haben. Neben dem Betriebssystem und der üblichen Anwendersoftware sei kein zusätzliches Programm, insbesondere keine File-Sharing-Software auf ihrem PC installiert gewesen. Der gerichtlich beauftragte Sachverständige war zu dem Ergebnis gekommen, dass die von der Beklagten bestrittenen Feststellungen des beauftragten Dienstleisters zuträfen.
Das AG gab der Klägerin Recht. „Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, trägt der Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast. Dieser entspricht er dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Insoweit ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet (…) So kann nicht ausreichend sein, dass im Lichte der Familie allein die pauschale Möglichkeit des Internetzugriffs von Familienmitgliedern genügt, um der sekundären Darlegungslast nachzukommen. Vielmehr sind konkrete Nachforschungen des Tatzeitpunktes erforderlich (…). Der BGH geht sogar so weit, dass der Anschlussinhaber zur Nutzungssituation im konkreten Tatzeitpunkt Nachforschungen anstellen muss und die erlangten Erkenntnisse mitteilt, und zwar auch dann, wenn hierdurch ein Familienmitglied als Täter benannt werden muss. (…) Die Beklagte berief sich darauf, dass auch die anderen Familienmitglieder Zugang hätten, der Computer nachts ausgeschaltet gewesen sei und es sich um einen selbständigen Datentransfer gehandelt haben müsse (…). Diese Ausführungen können hier den Anforderungen an die sekundäre Darlegungslast nicht genügen. (…)
Was die Höhe des von der Beklagten zu leistenden Schadensersatzbetrages angeht, (…) ist von einer Abruflizenzgebühr für den legalen Abruf von 11,76 € (…) auszugehen. (…) Dabei ist hier die große Anzahl der Verbreitung des Werkes aufgrund der hinter den Tauschbörsen stehenden anonymen Nutzer und des größeren Umfangs der Datei im Vergleich zu einem Musiktitel zu berücksichtigen. Weiterhin ist die oben bereits dargestellte Aktualität des Werkes zu berücksichtigen. Da nach Auffassung des Gerichts aufgrund der Verbreitung in einem anonymen Netzwerk zwar größere Abnehmerzahlen erreicht werden können, jedoch die Abrufdauer eher als kurzfristige Bereitstellung angesehen wird und das Werk auch einen größeren Umfang aufweist, was zu einem größeren Zeitaufwand beim Abruf der Datei führt, schätzt das Gericht die Zahl der bei einem hypothetischen Vertragsschluss anzunehmenden Abrufe auf 100. Somit hätte nach Schätzung des Gerichts eine Abruflizenz bei 1.176 € vereinbart werden können und somit stellt dies auch den hier zuzusprechenden Schaden dar.“ Das Gericht sprach auch Ersatz für RA-Gebühren von zweimal 107,50 € zu. (AG München, Urt. v. 20.08.2019 – 114 C 22559/17; rkr. nach Zurückweisung der Berufung)

Abstract: Wird über einen Internetanschluss eine Rechtsverletzung begangen, trägt der Anschlussinhaber eine sekundäre Darlegungslast. Dieser entspricht er dadurch, dass er vorträgt, ob andere Personen und gegebenenfalls welche anderen Personen selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und als Täter der Rechtsverletzung in Betracht kommen. Insoweit ist der Anschlussinhaber im Rahmen des Zumutbaren auch zu Nachforschungen verpflichtet.