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WBP NEWS

Online-News für den 15.09.2020

Zivilrecht

Zugang zum vollständigen Konto eines sozialen Netzwerks
Die Schuldnerin betreibt ein soziales Netzwerk. Sie ist durch – vom Bundesgerichtshof (Urt. v. 12.07.2018 bestätigtes – rechtskräftig gewordenes Urt. des LG Berlin v. 17.12.2015 verurteilt worden, den Eltern einer verstorbenen Teilnehmerin an dem Netzwerk als Erben Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten ihrer Tochter zu gewähren. Die Schuldnerin hat daraufhin der Gläubigerin, der Mutter der Verstorbenen, einen USB-Stick übermittelt, der eine PDF-Datei mit mehr als 14.000 Seiten enthält, die nach den Angaben der Schuldnerin eine Kopie der ausgelesenen Daten aus dem von der Verstorbenen geführten Konto enthält. Zwischen den Parteien ist streitig, ob hierdurch die Verpflichtung der Schuldnerin aus dem Urt. des LG erfüllt worden ist. Das LG hat auf Antrag der Gläubigerin gegen die Schuldnerin wegen Nichterfüllung ihrer Verpflichtung aus dem Urt. ein Zwangsgeld von 10.000 € festgesetzt. Das KG hat den Beschl. des LG auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin aufgehoben und den Antrag der Gläubigerin auf Festsetzung eines Zwangsmittels gegen die Schuldnerin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom KG zugelassene Rechtsbeschwerde der Gläubigerin.
Der BGH hat den Beschluss des KG aufgehoben und die erstinstanzliche Entscheidung wiederhergestellt. Bereits die Auslegung des Tenors des Urt. des LG v. 17.12.2015 ergibt, dass der Gläubigerin nicht nur Zugang zu den im Benutzerkonto vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit einzuräumen ist, vom Benutzerkonto selbst und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können, wie es die ursprüngliche Kontoberechtigte konnte. Dies folgt zudem aus den Entscheidungsgründen des vorgenannten Urt. sowie des Urt. des BGH v. 12.07.2018. Beide Entscheidungen haben den von der Schuldnerin zu erfüllenden Anspruch der Gläubigerin erbrechtlich hergeleitet. Der BGH hat ausgeführt, der Nutzungsvertrag zwischen der Tochter der Gläubigerin und der Schuldnerin sei mit seinen Rechten und Pflichten im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erben übergegangen. Letztere seien hierdurch in das Vertragsverhältnis eingetreten und hätten deshalb als Vertragspartner und neue Kontoberechtigte einen Primärleistungsanspruch auf Zugang zu dem Benutzerkonto ihrer Tochter sowie den darin enthaltenen digitalen Inhalten. Aus dieser Stellung der Erben und dem auf sie übergegangenen Hauptleistungsanspruch der Erblasserin aus dem mit der Schuldnerin bestehenden Vertragsverhältnis folgt ohne Weiteres, dass den Erben auf dieselbe Art und Weise Zugang zu dem Benutzerkonto zu gewähren ist wie zuvor ihrer Tochter. Das ergibt sich zudem aus zahlreichen weiteren Ausführungen des BGH und des LG in ihren vorgenannten Urteilen. Die Schuldnerin hat ihre Verpflichtung aus dem Urt. des LG v. 17.12.2015 nicht erfüllt. Durch die Überlassung des USB-Sticks mit einer umfangreichen PDF-Datei wurde kein vollständiger Zugang zum Benutzerkonto gewährt. Die PDF-Datei bildet das Benutzerkonto nicht vollständig ab. Letzteres erfordert nicht nur die Darstellung der Inhalte des Kontos, sondern auch die Eröffnung aller seiner Funktionalitäten – mit Ausnahme derer, die seine aktive Weiternutzung betreffen – und der deutschen Sprache, in der das Benutzerkonto zu Lebzeiten der Erblasserin vertragsgemäß geführt wurde. Diese Voraussetzungen erfüllt die von der Gläubigerin übermittelte Datei nicht. (BGH, Beschl. v. 27.08.2020 – III ZB 30/20)

Abstract: Die Betreiberin eines sozialen Netzwerks, die verurteilt worden ist, den Erben einer Netzwerk-Teilnehmerin Zugang zu deren vollständigen Benutzerkonto zu gewähren, muss den Erben die Möglichkeit einräumen, vom Konto und dessen Inhalt auf dieselbe Weise Kenntnis zu nehmen und sich – mit Ausnahme einer aktiven Nutzung – darin so „bewegen“ zu können wie zuvor die ursprüngliche Kontoberechtigte.

Steuerrecht

Keine coronabedingte Aufhebung von bereits vor dem 19.03.2020 erfolgten Vollstreckungsmaßnahmen
Die Antragstellerin, ein in der EU ansässiges Unternehmen, hatte erhebliche Steuerschulden, die bereits im Jahr 2019 festgesetzt worden waren. Aufgrund dieser Rückstände richtete jener EU-Mitgliedstaat ein Vollstreckungsersuchen an Deutschland. Das zuständige Finanzamt erließ daraufhin im Februar 2020 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegen mehrere deutsche Banken, bei denen die Antragstellerin Konten unterhielt. Hiergegen wendete sich die Antragstellerin, und zwar u.a. mit dem Argument, aufgrund ihrer durch die Corona-Pandemie bedingten erheblichen Einnahmeausfälle müsse entsprechend dem BMF-Schreiben vom 19.03.2020 von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden.
Dies sah der BFH anders. Im BMF-Schreiben sei von einem „Absehen“ von Vollstreckungsmaßnahmen die Rede. Das deute darauf hin, dass sich die Verschonungsregelung nur auf solche Vollstreckungsmaßnahmen beziehe, die noch nicht durchgeführt worden seien. Dem Wortlaut des Schreibens lasse sich jedenfalls nicht entnehmen, dass bereits vor dem 19.03.2020 ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen – wie von der Antragstellerin begehrt – wieder aufgehoben oder rückabgewickelt werden müssten. Diese Erwägungen gelten auch für inländische Sachverhalte, in denen der Vollstreckungsschuldner in Deutschland ansässig und mit der Zahlung von deutschen Steuern säumig geworden ist. (BFH, Beschl. v. 30.07.2020 – VII B 73/20 (AdV)

Abstract: Zur Vermeidung unbilliger Härten gewährt die Finanzverwaltung Steuerpflichtigen, die von den Folgen der Corona-Pandemie besonders betroffen sind, verschiedene steuerliche Erleichterungen. Unter anderem soll unter bestimmten Voraussetzungen bis zum Ende des Jahres 2020 von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden, wie das BMF in seinem Schreiben vom 19.03.2020 festgelegt hat. Diese Verwaltungsanweisung erfasst allerdings nicht bereits vor dem 19.03.2020 ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden.

Arbeitsrecht

Unternehmensmitbestimmung in einer durch Umwandlung gegründeten Societas Europaea (SE)
Die Arbeitgeberin hatte ursprünglich die Rechtsform einer AG deutschen Rechts. Für sie galt das Mitbestimmungsgesetz. Demzufolge war bei ihr ein 16köpfiger Aufsichtsrat gebildet worden, der jeweils zur Hälfte von Aufsichtsratsmitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer besetzt war. Zwei Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer waren von Gewerkschaften vorgeschlagen und in einem von den Wahlen der übrigen Arbeitnehmervertreter getrennten Wahlgang gewählt worden. Im Jahr 2014 wurde die Arbeitgeberin in eine SE umgewandelt. Derzeit verfügt sie über einen 18köpfigen – ebenfalls paritätisch besetzten – Aufsichtsrat, bei dem ein Teil der auf die Arbeitnehmer entfallenden Sitze für von Gewerkschaften vorgeschlagene und von den Arbeitnehmern zu wählende Personen reserviert ist. Die dazu zwischen der Arbeitgeberin und dem besonderen Verhandlungsgremium abgeschlossene Beteiligungsvereinbarung nach dem SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) sieht die Möglichkeit einer Verkleinerung des Aufsichtsrats auf zwölf Mitglieder vor. In diesem Fall können die Gewerkschaften zwar Wahlvorschläge für die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer unterbreiten; ein getrennter Wahlgang findet insoweit aber nicht statt. Die antragstellenden Gewerkschaften haben geltend gemacht, die Regelungen über die Bildung des verkleinerten Aufsichtsrats seien unwirksam; sie verstießen gegen § 21 Abs. 6 SEBG. Nach der Umwandlung in eine SE müsse den Gewerkschaften weiterhin ein ausschließliches Vorschlagsrecht für eine bestimmte Anzahl von Sitzen der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat zustehen. Die Vorinstanzen haben das Begehren abgewiesen. Das BAG hat den EuGH angerufen. Bei der Gründung einer SE durch Umwandlung einer paritätisch mitbestimmten AG gibt § 21 Abs. 6 SEBG vor, dass in der Beteiligungsvereinbarung zur Mitbestimmung ein gesondertes Auswahlverfahren für von Gewerkschaften vorgeschlagene Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer zu gewährleisten ist. Für das BAG ist entscheidungserheblich, ob dieses Verständnis des nationalen Rechts mit Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2001/86/EG des Rates v. 08.10.2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer vereinbar ist. Für deren Auslegung ist der EuGH zuständig. (BAG, Beschl. v. 18.08.2020 – 1 ABR 43/18 (A))

Abstract: Der EuGH mag die Anforderungen an eine auf Vereinbarung beruhende Unternehmensmitbestimmung bei der Gründung einer Societas Europaea (SE) durch Umwandlung einer paritätisch mitbestimmten AG hinsichtlich des Aufsichtsrats klären.

Zivilrecht

Keine Werbung auf Social-Media-Plattformen mit über Gewinnspiele generierten Bewertungen
Beide Parteien vertreiben gewerbsmäßig Whirlpools. Die Beklagte lobte über Facebook ein Gewinnspiel über einen Luxus-Whirlpool aus. Im Text heißt es: „Wie Du gewinnen kannst? Ganz einfach: Diesen Post liken, kommentieren, teilen; unsere Seite liken oder bewerten. Jede Aktion erhält ein Los und erhöht eine Gewinnchance“. Die Klägerin hält es für wettbewerbswidrig, wenn die Beklagte mit Bewertungen wirbt, die auf diese Weise als Gegenleistung für die Teilnahme an einem Gewinnspiel abgegeben wurden. Das LG hat die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, mit Bewertungen zu werben, wenn auf diese Bewertungen durch die Ermöglichung der Teilnahme an dem Gewinnspiel als Gegenleistung für die Abgabe einer Bewertung Einfluss genommen wurde.
Die hiergegen gerichtete Berufung hatte – wie bereits im vorausgegangenen Eilverfahren – auch vor dem OLG keinen Erfolg. Die Werbung mit den hier gegenständlichen Bewertungen sei irreführend und damit unlauter, entschied das OLG. Grundsätzlich wirkten Äußerungen Dritter in der Werbung objektiv und würden daher im Allgemeinen höher bewertet als eigene Äußerungen des Werbenden. Deshalb sei die Werbung mit bezahlten Empfehlungen unzulässig. Ein Kunde, der eine Empfehlung ausspreche, müsse in seinem Urteil frei und unabhängig sein.
Hier werbe die Beklagte mit ihren Facebook-Bewertungen und der dort erzielten guten Durchschnittsnote. Die Bewertungen seien jedoch teilweise nicht frei und unabhängig abgegeben worden. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Bewertungen nur deshalb abgegeben wurde, weil die Bewertung durch die
Gewinnspielteilnahme „belohnt“ wurden. „Es liegt auf der Hand, dass Bewertung aus Anlass des Gewinnspiels eher positiv ausfallen. Es ist damit zwar keine „bezahlte“ Empfehlung im Wortsinn gegeben. Gleichwohl sind die Bewertungen nicht als objektiv anzusehen“, stellt das OLG fest. Dabei komme es auch nicht darauf an, dass die Klägerin konkret nachweise, welche Bewertungen durch das Gewinnspiel veranlasst wurden. „Es liegt nämlich ohne Weiteres nahe, dass durch die Gewinnspielauslobung eine erhebliche Zahl an Bewertungen generiert wurde“, begründet das OLG. (OLG Frankfurt, Urt. v. 20.08.2020 – 6 U 270/19; nrkr.)

Abstract: Die Werbung mit Bewertungen auf Social-Media-Plattformen, die als Gegenleistung für die Teilnahme an einem Gewinnspiel abgegeben werden, ist unlauter. Es kann unterstellt werden, dass durch eine Gewinnspielauslobung eine erhebliche Zahl an Bewertungen generiert wird.