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WBP NEWS

Online-News für den 01.09.2022

Zivilrecht

Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zu den Folgen eines Reiserücktritts wegen Covid 19
Der Kläger buchte bei der Beklagten im Januar 2020 eine Reise nach Japan im Zeitraum vom 3. bis 12.04.2020 zu einem Gesamtpreis von 6.148 €. In Japan waren Anfang Februar Schutzmasken im gesamten Land ausverkauft. Ende Februar schlossen die großen Vergnügungsparks, sportliche Großveranstaltungen fanden nicht mehr oder nur noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Am 26.02.2020 beschloss die japanische Regierung, für die kommenden Wochen sämtliche Großveranstaltungen komplett abzusagen. Einen Tag später wurde beschlossen, sämtliche Schulen bis mindestens Anfang April zu schließen. Der Kläger trat am 01.03.2020 von der Reise zurück. Die Beklagte berechnete Stornokosten in Höhe von insgesamt 1.537 € (25 % des Reisepreises), die der Kläger bezahlte. Am 26.03.2020 erging für Japan ein Einreiseverbot. Der Kläger verlangte daraufhin die Rückzahlung des bereits geleisteten Betrags. Das AG hat die Beklagte antragsgemäß zur Rückzahlung von 1.537 € nebst Zinsen und vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 255,85 € verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das LG den zu zahlenden Betrag auf 14,50 € zuzüglich vorgerichtlicher Kosten in Höhe von 83,54 € reduziert und die weitergehende Klage abgewiesen. Mit seiner vom LG zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Rückzahlungsanspruch in voller Höhe weiter.
Nach Auffassung des BGH hängt die Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie (EU) Nr. 2015/2302 (Pauschalreise-Richtlinie) ab. Deshalb hat er die relevante Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt. Die Begründetheit der Klage hängt davon ab, ob die beklagte Reiseveranstalterin dem Anspruch des Klägers auf Rückzahlung des Reisepreises einen Anspruch auf Entschädigung nach § 651h Abs. 1 Satz 3 BGB entgegenhalten kann. Einen solchen Entschädigungsanspruch sieht das Gesetz als regelmäßige Folge für den Fall vor, dass der Reisende vor Reisebeginn vom Vertrag zurücktritt. Der Anspruch ist nach § 651h Abs. 3 BGB ausgeschlossen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. In Instanzrechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob Umstände dieser Art bereits im Zeitpunkt des Rücktritts vorgelegen haben müssen oder ob der Entschädigungsanspruch auch dann ausgeschlossen ist, wenn solche Umstände erst nach der Rücktrittserklärung aufgetreten sind. Im Streitfall hat das LG auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung abgestellt und angenommen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise im Zeitpunkt des Rücktritts am 01.03.2020 noch nicht hinreichend wahrscheinlich war. Der BGH hält diese Beurteilung für fehlerhaft, weil das LG sich nicht mit der Frage befasst hat, ob die ungewöhnliche Art und Anzahl der bis zum 01.03.2020 in Japan getroffenen Maßnahmen schon damals hinreichende Anhaltspunkte für eine erhebliche Infektionsgefahr begründete. Zur abschließenden Klärung dieser Frage müsste er die Sache an das LG zurückverweisen. Eine Zurückverweisung der Sache zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts wäre hingegen entbehrlich, wenn der Entschädigungsanspruch schon wegen des nach dem Rücktritt am 26.03.2020 angeordneten Einreiseverbots ausgeschlossen wäre. Der BGH neigt der Auffassung zu, dass (auch) nach dem Rücktritt aufgetretene Umstände dieser Art zu berücksichtigen sind. Er hat die Frage dem EuGH vorgelegt, weil aufgrund einer Vorlage des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 25.01.2022 (8Ob130/21g) nicht hinreichend klar ist, ob Art. 12 Abs. 2 der Pauschalreise-Richtlinie, deren Umsetzung § 651h BGB dient, in diesem Sinne auszulegen ist. (BGH, Beschl. v. 02.08.2022 – X ZR 53/21)

Abstract: Der unter anderem für Pauschalreiserecht zuständige X. Zivilsenat des BGH hat dem EuGH eine Frage zur Auslegung der Pauschalreise-Richtlinie vorgelegt.

Steuerrecht

Betriebsnahe Kindergärten und Gemeinnützigkeit
Im Streitfall schloss die Klägerin mit Unternehmen Verträge über die Errichtung und den Betrieb von Kinderbetreuungseinrichtungen für Kinder der Mitarbeiter der Unternehmen. Dabei sollte die Klägerin auf die Belegungspräferenz der Unternehmen Rücksicht nehmen, sofern dies mit den gesetzlichen Bestimmungen, behördlichen Auflagen und dem pädagogischen Konzept vereinbar war. Andere Personen, die nicht bei den Unternehmen beschäftigt waren, konnten einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen, wenn die Unternehmen aus ihrer Belegschaft keinen Bedarf hatten oder wenn Plätze länger unbelegt blieben. Das Finanzamt war der Auffassung, die Klägerin diene nicht gemeinnützigen Zwecken. Sie fördere nicht die Allgemeinheit, weil ihre Einrichtungen den Beschäftigten ihrer Vertragspartner vorbehalten seien. Die Befreiung von der Körperschaftsteuer wegen der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) sei daher nicht zu gewähren. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Auch der BFH versagte die Gemeinnützigkeit. Die Tätigkeit einer gemeinnützigen Körperschaft muss gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO darauf gerichtet sein, die Allgemeinheit zu fördern. Davon ist nur dann auszugehen, wenn im Grundsatz jedermann freien Zutritt zur Körperschaft oder zu ihren Leistungen hat und sich der geförderte Personenkreis dementsprechend zumindest als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt und die Allgemeinheit repräsentiert. Daran fehlte es bei der Klägerin. Denn sie förderte nur einen Kreis von Personen, der aufgrund der Zugehörigkeit zur Belegschaft eines Unternehmens fest abgeschlossen war. Eine verbindliche „Restplatzquote“ für andere Personen als die Beschäftigten der Vertragspartner der Klägerin gab es nicht. Der BFH lehnte zudem eine Befreiung von der Körperschaftsteuer wegen der Verfolgung mildtätiger Zwecke (§ 53 AO) ab, weil die Klägerin nach ihrer Satzung nur gemeinnützige, nicht aber auch mildtätige Zwecke verfolgte. (BFH, Urt. v. 01.02.2022 – V R 1/20)

Abstract: Die Tätigkeit einer gemeinnützigen Körperschaft muss gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO darauf gerichtet sein, die Allgemeinheit zu fördern. Davon ist nur dann auszugehen, wenn im Grundsatz jedermann freien Zutritt zur Körperschaft oder zu ihren Leistungen hat und sich der geförderte Personenkreis dementsprechend zumindest als Ausschnitt der Allgemeinheit darstellt und die Allgemeinheit repräsentiert.

Arbeitsrecht

Behördlich angeordnete Quarantäne während des Urlaubs
Der Kläger ist seit 1993 bei der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf seinen Antrag bewilligte ihm die Beklagte acht Tage Erholungsurlaub für die Zeit vom 12. bis zum 21.10.2020. Mit Bescheid vom 14.10.2020 ordnete die Stadt Hagen die Absonderung des Klägers in häusliche Quarantäne für die Zeit vom 09. bis zum 21.10.2020 an, weil er zu einer mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizierten Person Kontakt hatte. Für die Zeit der Quarantäne war es dem Kläger untersagt, seine Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamts zu verlassen und Besuch von haushaltsfremden Personen zu empfangen. Die Beklagte belastete das Urlaubskonto des Klägers mit acht Tagen und zahlte ihm das Urlaubsentgelt. Der Kläger hat die auf Wiedergutschrift der Urlaubstage auf seinem Urlaubskonto gerichtete Klage darauf gestützt, es sei ihm nicht möglich gewesen, seinen Urlaub selbstbestimmt zu gestalten. Die Situation bei einer Quarantäneanordnung sei der infolge einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar. Der Arbeitgeber müsse ihm deshalb entsprechend § 9 BUrlG, dem zufolge ärztlich attestierte Krankheitszeiten während des Urlaubs nicht auf den Jahresurlaub angerechnet werden dürfen, nachgewähren.
Das LAG ist dieser Auffassung gefolgt und hat der Klage stattgegeben. Für das BAG ist es entscheidungserheblich, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung durch die zuständige Behörde angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nach nationalem Recht nicht nachzugewähren ist, weil der betroffene Arbeitnehmer selbst nicht krank war. (BAG, Beschl. v. 16.08.2022 – 9 AZR 76/22 (A))

Abstract: Der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet, um die Frage klären zu lassen, ob aus dem Unionsrecht die Verpflichtung des Arbeitgebers abzuleiten ist, einem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nachzugewähren, der zwar während des Urlaubs selbst nicht erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hatte.

Verwaltungsrecht

Keine Rückforderung von Corona-Soforthilfen
Die Bescheide, mit denen die Bezirksregierung Düsseldorf geleistete Corona-Soforthilfen von den Empfängern teilweise zurückgefordert hat, sind rechtswidrig. Den gegen diese Schlussbescheide gerichteten Klagen dreier Zuwendungsempfänger gegen das Land NRW hat das VerwG mit in mündlicher Verhandlung verkündeten Urteilen stattgegeben.
Als im Frühjahr 2020 kleine Unternehmen und Selbständige durch verschiedene infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie in wirtschaftliche Notlagen gerieten, schufen Bund und Länder Programme, um kurzfristig Finanzhilfen bereitzustellen. Solche Soforthilfen erhielten auch die Kläger der heute entschiedenen Verfahren. Der Betreiber eines Schnellrestaurants musste ebenso wie die Betreiberin eines Kosmetikstudios während des Lockdowns im Frühjahr 2020 zeitweise den Betrieb schließen. Ein Steuerberater aus Düsseldorf, der einen Großteil seiner Umsätze durch die Aus- und Fortbildung von Steuerberatern erwirtschaftet, erlitt durch den Wegfall von Präsenzvorträgen Umsatzeinbußen. Nachdem die drei Kläger zunächst aufgrund von Ende März bzw. Anfang April 2020 erlassenen Bewilligungsbescheiden der zuständigen Bezirksregierung Soforthilfen i.H.v. jeweils 9.000 € erhalten hatten, setzte die Behörde im Rahmen sog. Rückmeldeverfahren später die Höhe der Soforthilfe auf ca. 2.000 € fest und forderte etwa 7.000 € zurück.
Diese Schlussbescheide sind rechtswidrig. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide kam es auf die Förderpraxis des Landes während des Antragsverfahrens bis zum Erlass der Bewilligungsbescheide an. Die in den Bewilligungsbescheiden zum Ausdruck gekommene Verwaltungspraxis des Landes stimmte mit den in den Schlussbescheiden getroffenen Festsetzungen nicht überein. Während des Bewilligungsverfahrens durften die Hilfeempfänger auf Grund von Formulierungen in online vom Land bereit gestellten Hinweisen, den Antragsvordrucken und den Zuwendungsbescheiden eher davon ausgehen, dass pandemiebedingte Umsatzausfälle für den Erhalt und das Behaltendürfen der Geldleistungen ausschlaggebend sein sollten. Demgegenüber stellte das Land bei Erlass der Schlussbescheide auf das Vorliegen eines Liquiditätsengpasses ab, der eine Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Geschäftsbetriebes, also einen Verlust, voraussetzte. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil diese Handhabung von der maßgeblichen Förderpraxis abwich. Mit Blick darauf konnte auch die Richtlinie des damaligen Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW vom 31.05.2020, die erstmals eine Definition des Begriffs des Liquiditätsengpasses enthielt, trotz ihres rückwirkenden Inkrafttretens bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Schlussbescheide nicht berücksichtigt werden. Abgesehen davon waren die ursprünglichen Bewilligungsbescheide hinsichtlich einer etwaigen Rückerstattungsverpflichtung auch missverständlich formuliert. Insbesondere konnten die Zuwendungsempfänger dem Inhalt der Bescheide nicht verlässlich entnehmen, nach welchen Parametern eine Rückzahlung zu berechnen sei. (VerwG Düsseldorf, Urt. v. 16.08.2022 – 20 K 7488/20, 20 K 217/21 und 20 K 393/22)

Abstract: Wenn ursprüngliche Bewilligungsbescheide hinsichtlich einer etwaigen Rückerstattungsverpflichtung missverständlich formuliert sind, können die Zuwendungsempfänger dem Inhalt der Bescheide nicht verlässlich entnehmen, nach welchen Parametern eine Rückzahlung zu berechnen ist.

Umbenennung einer Straße nur von Anwohnern angreifbar
Nur Anwohner können sich im Land Berlin gegen die Umbenennung einer Straße wehren. Mit dieser Begründung hat das Verwaltungsgericht Berlin die Klage eines Mannes abgewiesen, der sich gegen die beabsichtigte Umbenennung der Mohrenstraße in Berlin-Mitte gewandt hatte, ohne dort zu wohnen.