Online-News für den 01.09.2023
Zivilrecht
Wohnrecht für die Großmutter trotz Verkauf der Immobilie?
Die Klägerin war gemeinsam mit ihren beiden Töchtern Erbin ihres Ehemannes geworden. Man einigte sich mit dem Enkel der Frau über einen Verkauf des Hauses, das dem Verstorbenen gehört hatte. Dabei gab es Gespräche darüber, dass die Klägerin grundsätzlich in dem Haus wohnen bleiben könne, auch wenn der Enkel Eigentümer der Immobilie würde. Es kam aber nicht zur Eintragung eines dinglichen Wohnrechts im Grundbuch. Der Enkel kündigte gegenüber seiner Großmutter nach ca. 1 ½ Jahren „das unentgeltliche Nutzungsverhältnis“ und verkaufte das Haus dann zum mehr als doppelten Preis an ein junges Paar. Die Klägerin verklagte den Enkel vor dem LG auf Feststellung, dass ihr ein lebenslanges, unentgeltliches Wohnrecht zustehe. Das LG verurteilte den Enkel entsprechend. Vor dem OLG hatte er mit seiner Berufung keinen Erfolg: Die Großmutter habe einen Anspruch auf Feststellung, dass ihr gegenüber dem Enkel ein schuldrechtliches Wohnrecht zustehe, also ein Wohnrecht, das nicht im Grundbuch eingetragen ist. Dies gelte trotz des Weiterverkaufs der Immobilie. Angesichts des Verkaufs an das junge Ehepaar kämen jetzt nämlich möglicherweise Schadensersatzansprüche der Großmutter gegen den Enkel in Betracht, sodass sie ein sogenanntes „Feststellungsinteresse“ habe. Im Rahmen der Zeugenvernehmung vor dem LG habe sich ergeben, dass sich die Großmutter, ihre beiden Töchter und der Enkel vor dem Verkauf an diesen bei einem Kaffeetrinken darauf geeinigt hätten, dass die damals Mitte 70-jährige Großmutter auch bei einer Übernahme des Hauses durch den Enkel in dem Haus wohnen bleiben dürfe (= schuldrechtliches Wohnrecht). Ein Kündigungsrecht habe der Enkel nicht bewiesen. Weil es sich nur um ein schuldrechtliches, nicht eingetragenes Wohnrecht handelt, wird die Großmutter dies gegenüber den neuen Käufern nicht geltend machen können. Ihr dürften aber Schadensersatzansprüche gegen ihren Enkel zustehen. (OLG Oldenburg, Beschl. v. 27.04.2023 und 22.06.2023 (Az. 8 U 174/22).
Abstract: Wenn eine Immobilie weiterverkauft wird und das zugesicherte, aber nicht eingetragene Wohnrecht entfällt, hat der Berechtigte einen Anspruch auf Feststellung, dass ihr gegenüber dem Erben ein schuldrechtliches Wohnrecht zustehe. Im Raum stehen bei einer Unerfüllbarkeit Schadenersatzansprüche.
Sozialrecht
Mitarbeiter, die Fitnesskurse durchführen, sind abhängig Beschäftigte
Das Fitnessstudio bietet seinen Kunden Einzel- und Gruppentraining sowie Fitnesskurse an. Diverse Trainer werden dabei als sog. freie Mitarbeiter eingesetzt, die Kurse in den Räumlichkeiten des Studios anbieten. Die so eingesetzten Trainer stellten dem Fitnessstudio Rechnungen nach vereinbarten Stunden- bzw. Minutensätzen. Rahmen einer Betriebsprüfung beanstandete die für die Prüfung zuständige Rentenversicherung die Vereinbarung von freier Mitarbeit. Die Rentenversicherung stufte die Vertragsverhältnisse als abhängige und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ein und forderte vom Fitnessstudio als Arbeitgeber entsprechend Sozialversicherungsbeiträge nach. Hiergegen wendete sich das Fitnessstudio mittels eines Eilverfahrens beim SozG. Dieses lehnte den Eilantrag des Fitnessstudios mit Beschluss vom 23.06.2023 ab; zu Recht sei die Prüfbehörde von einer abhängigen Beschäftigung der Fitnesstrainer ausgegangen. Das LSG bestätigte die Entscheidung. Ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliege, sei im Einzelfall anhand der wesentlichen Umstände zu beurteilen, wobei es insbesondere auf die Eingliederung des Betreffenden in den Betrieb des Auftraggebers ankäme und das Vorliegen einer unternehmerischen Tätigkeit beim Auftragnehmer mit entsprechendem unternehmerischen Risiko einerseits und unternehmerischer Gewinnchancen andererseits. Die Fitnesstrainer seien auch als Kursleiter allesamt nach Annahme des Kursleitungsauftrages in die betriebliche Organisation des Fitnessstudios eingebunden gewesen. Das Studio habe das Angebot an Trainingsmöglichkeiten und Kursen bestimmt, ebenso, ob Kurse bei fehlender Auslastung nicht stattfanden, und habe die Kunden akquiriert. Die Kursleiter hätten lediglich die Aufgabe gehabt, das vorgegebene Programm auszufüllen. Die Kursleiter hätten nicht nach eigenem Gutdünken das Kursangebot verändern oder durch andere Kurse ersetzen können. Die Kurse seien in den Räumlichkeiten des Studios durchzuführen gewesen. Die Kursleiter hätten damit faktisch keine unternehmerischen Gestaltungsfreiheiten gehabt. Die Kursleiter seien zudem nach Stunden bzw. geleisteten Minuten bezahlt worden. Hieraus ergebe sich kein Unternehmerrisiko, da geleistete Arbeit stets vergütet worden sei. (Bayer. LSG, Beschl. v. 18.08.2023 – L 7 BA 72/23 B ER)
Abstract: Wenn Kursleiter in Fitnessstudios keine unternehmerischen Gestaltungsfreiheiten haben und nach Stunden bzw. geleisteten Minuten bezahlt werden, tragen sie kein Unternehmerrisiko, da geleistete Arbeit stets vergütet wird. Ihre Vertragsverhältnisse sind als abhängige und damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung einzustufen.
Notarrecht
Altersgrenze für Notare ist keine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters
Der Kläger ist Anwaltsnotar und wird im Laufe des Jahres 2023 das 70. Lebensjahr vollenden. Er macht geltend, die Altersgrenze verstoße gegen das sich aus Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie Art. 1, Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (nachfolgend: RL 2000/78) ergebende Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Die Altersgrenze sei angesichts eines mittlerweile eingetretenen erheblichen Nachwuchsmangels nicht mehr im Sinn von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78 objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt. Die Klage auf Feststellung, dass das Amt des Klägers als Notar nicht mit dem Ablauf des Monats, in dem er das 70. Lebensjahr vollendet, erlischt, ist vor dem OLG ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom BGH zugelassenen Berufung hat er sein Klageziel weiterverfolgt. Der Senat für Notarsachen hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Altersgrenze soll den Generationenwechsel erleichtern und den Berufsstand der Notare verjüngen. Sie ist nach den vom Senat getroffenen Feststellungen zur Erreichung dieses Ziels nach wie vor erforderlich. Aus dem für den Zeitraum 2020 bis 2022 eingeholten Gutachten der BNotK zur Anzahl der bestehenden und ausgeschriebenen Stellen und der eingegangenen Bewerbungen sowie zur Verteilung der Notarinnen und Notare in Altersgruppen ergibt sich, dass im hauptberuflichen Notariat bundesweit ein erheblicher Bewerberüberhang herrscht. Lediglich in den OLG-Bezirken, in denen Rechtsanwälte als Notare im Nebenberuf tätig sind (Braunschweig, Bremen, Celle, Frankfurt am Main, Hamm, Oldenburg, Schleswig sowie der Bezirk des Kammergerichts und im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf der rechtsrheinische Teil des LG-Bezirks Duisburg sowie der AG-Bezirk Emmerich), besteht teilweise ein erheblicher Bewerbermangel. Daraus und aus weiteren statistischen Daten hat der Senat für Notarsachen geschlossen, dass es für den Notarberuf keinen Nachwuchsmangel aus demographischen Gründen gibt. Der Bewerbermangel im Anwaltsnotariat hat andere, seit etwa 2010 bestehende strukturelle Gründe. Dies sind insbesondere die neben der Berufstätigkeit als Rechtsanwalt vorzubereitende und abzulegende notarielle Fachprüfung sowie die sich stetig weiter erhöhenden (auch technischen) Anforderungen an die Ausübung des Nebenberufs. Die Altersgrenze ist vor diesem Hintergrund auch im Anwaltsnotariat nach wie vor erforderlich, um ein legitimes Ziel im Sinn von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78 zu erreichen. Bleiben lebensältere Notare mit gut eingeführten Notarstellen und einem großen Stamm an Urkundsbeteiligten ohne Altersgrenze im Amt, haben jüngere Rechtsanwälte keine hinreichende und planbare Aussicht auf wirtschaftlich leistungsfähige Notariate. Sie werden dann oftmals den erheblichen Aufwand für den Einstieg in den Nebenberuf nicht auf sich nehmen. Der Senat konnte daher nicht feststellen, dass der Gesetzgeber, der 2021 im Hinblick auf den bereits seinerzeit bestehenden Bewerbermangel im Bereich des Anwaltsnotariats einige Verbesserungen beschlossen (§ 48b und § 5b Abs. 3 BNotO), jedoch an der Altersgrenze festgehalten hat, dabei den ihm nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zukommenden Prognose- und Beurteilungsspielraum verletzt hat. Ein angemessener Interessenausgleich wird auch dadurch gewährleistet, dass die Altersgrenze für Notare deutlich über den im Bund und in den Ländern geltenden Pensionsaltersgrenzen liegt und aus dem Amt ausscheidende Anwaltsnotare nicht gehindert sind, den Beruf des Rechtsanwalts weiterhin auszuüben und als Notarvertreter oder Notariatsverwalter tätig zu sein. (BGH, Urt. v. 21.08.2023 – NotZ[Brfg] 4/22)
Abstract: Die Altersgrenze für Notare ist mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar.
Zivilrecht
Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Kartell-Geldbußen eines Unternehmens
Die Klägerinnen hatten den Beklagten wegen seiner Beteiligung an einem Edelstahlkartell auf Schadensersatz verklagt. Der Beklagte war Geschäftsführer der klagenden GmbH und Vorstandsvorsitzender der klagenden AG, zweier miteinander verbundener Edelstahlunternehmen gewesen. In diesen Funktionen hatte der Beklagte in der Zeit von Juli 2002 bis Ende 2015 – insbesondere seit 2012 auch als Vorstandsvorsitzender eines maßgeblichen Branchenverbandes – regelmäßig an dem Austausch wettbewerblich sensibler Informationen teilgenommen. Das Bundeskartellamt hatte in dem anschließenden Bußgeldverfahren gegen zehn Edelstahlunternehmen, zwei Branchenverbände und siebzehn verantwortliche Personen – darunter den Beklagten – Geldbußen in Höhe von insgesamt rund 355 Mio. € verhängt. Gegen die GmbH hatte das Bundeskartellamt ein Bußgeld in Höhe von 4,1 Mio. € und gegen den Beklagten persönlich ein weiteres Bußgeld festgesetzt. Gegen die AG wurde im Hinblick auf das Bußgeld gegen die GmbH kein Bußgeld festgesetzt. Die klagende GmbH fordert von dem Beklagten Schadenersatz in Höhe des gegen das Unternehmen festgesetzten Bußgeldes. Die klagende AG verlangt Erstattung der Aufklärungs- und Rechtsanwaltskosten in Höhe von mehr als einer Mio. €. Darüber hinaus begehren beide Klägerinnen die Feststellung, dass der Beklagte für alle aus dem Kartell resultierenden Zukunftsschäden hafte. Das LG hatte die Klage hinsichtlich des Unternehmens-Bußgeldes sowie der geltend gemachten Aufklärungs- und
Rechtsanwaltskosten abgewiesen. Im Übrigen hatte das LG festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet sei, den Klägerinnen Schadensersatz für alle weiteren Zukunftsschäden zu leisten, die aus dem Wettbewerbsverstoß resultierten. Der 6. Kartellsenat des OLG hat das landgerichtliche Urteil bestätigt. Der Senat geht davon aus, dass der Beklagte vorsätzlich an dem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch mitgewirkt habe. Der Beklagte habe sich auch nicht in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum befunden. So habe er sich etwa auf den Sitzungen des Edelstahl-Vereinigung e.V. mit anderen Wettbewerbern über wettbewerblich sensible Informationen wie die aktuelle Auftragslage, die Entwicklung der Lagerbestände, Produktionsstillstände und beabsichtigte Preiserhöhungen ausgetauscht. Vor diesem Hintergrund sei es fernliegend, dass ihm die Kartellrechtswidrigkeit nicht bewusst gewesen sein soll. Das LG habe zutreffend entschieden, dass hinsichtlich des gegen die GmbH festgesetzten Bußgeldes kein Regress gegen den Beklagten in Betracht komme. Eine persönliche Haftung des Geschäftsführers und des Vorstandes, hier des Beklagten, für Kartellbußen eines Unternehmens scheide aus. Andernfalls werde die kartellrechtliche Wertung unterlaufen, wonach – wie vorliegend – getrennte Bußgelder gegen die handelnde Person und das Unternehmen selbst festgesetzt werden. Die kartellrechtlichen Vorschriften sähen jeweils getrennte Bußgeldnormen für die handelnden Personen und das beteiligte Unternehmen, auch der Höhe nach, vor. Durch den Rückgriff auf den Geschäftsführer bestehe darüber hinaus die Gefahr, dass der Sanktionszweck eines Unternehmensbußgeldes gefährdet werde. So könnten Unternehmen sich durch den Rückgriff auf Geschäftsführer und Vorstände faktisch ihrer kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung entziehen. Dies gelte erst recht, wenn Vorstand und Geschäftsführer über eine sog. „D&O-Versicherung“ haftpflichtversichert seien und die Deckungssumme weit höher sei als das gegen das Unternehmen verhängte Bußgeld. Da die Aufklärungs- und Verteidigerkosten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren gegen das Unternehmen vor dem Bundeskartellamt stünden, könnten diese Kosten ebenfalls nicht erstattet verlangt werden. Es bleibe mithin eine Haftung des Geschäftsführers und Vorstandes für zivilrechtliche Ansprüche Dritter, die aufgrund des Kartells geschädigt worden seien. Die vom Beklagten geltend gemachte Verjährung greife nicht. Die mehreren Treffen bildeten im Rahmen einer einheitlichen Grundabsprache eine Bewertungseinheit, so dass die Verjährung der Ansprüche gegen das Leitungsorgan nicht nach jedem Treffen gesondert, sondern erst mit dem letzten Treffen beginne. (OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.07.2023 – VI-6 U 1/22 [Kart]; nrkr.)
Abstract: Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Geldbußen eines Unternehmens.
Namensrecht
Die Bundesregierung hat den im Koalitionsvertrag bereits angekündigten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ehenamens- und Geburtsnamensrechts beschlossen. Der Gesetzentwurf sieht eine Modernisierung des bürgerlich-rechtlichen Namensrechts vor: also des Ehenamens- und Geburtsnamensrechts. Das geltende deutsche Namensrecht ist sehr restriktiv, gerade auch im internationalen Vergleich. Es trägt der vielfältigen Lebenswirklichkeit und den Bedürfnissen vieler Familien nicht mehr hinreichend Rechnung. Folgende Änderungen sind vorgesehen: Einführung echter Doppelnamen für Ehepaare und Kinder, Erleichterung der Namensänderung für Stiefkinder und Scheidungskinder, Änderung des Geburtsnamens als Volljähriger, Geschlechtsangepasste Familiennamen, Geburtsnamen nach friesischer und nach dänischer Tradition und kein Zwang zur Namensänderung nach Erwachsenadoption.