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WBP NEWS

Online-News für den 15.02.2023

Zivilrecht

Kreditrückzahlung und laufzeitunabhängige Kosten
Der Verein für Konsumenteninformation (VKI), ein Verein zum Schutz von Verbraucherinteressen, beanstandet vor den österreichischen Gerichten eine in den Immobilienkreditverträgen der UniCredit Bank Austria verwendete Standardklausel, die die vorzeitige Rückzahlung des Kredits durch den Verbraucher betrifft. In einem solchen Fall verringern sich gemäß dieser Klausel die Zinsen und die laufzeitabhängigen Kosten verhältnismäßig, während „die laufzeitunabhängigen Bearbeitungsspesen nicht – auch nicht anteilig – rückerstattet werden“. Nach Auffassung des VKI müssten sich auch die laufzeitunabhängigen Kosten verhältnismäßig verringern. Er beruft sich insoweit auf die Richtlinie 2014/17 über Wohnimmobilienkreditverträge für Verbraucher. Gemäß dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Verbraucher das Recht haben, ihre Verbindlichkeiten aus einem Kreditvertrag vollständig oder teilweise vor Ablauf des Vertrags zu erfüllen. In solchen Fällen hat der Verbraucher das Recht auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits, die sich nach den Zinsen und den Kosten für die verbleibende Laufzeit des Vertrags richtet. Der österreichische Oberste Gerichtshof hat den EuGH mit dieser Frage befasst. Er möchte wissen, ob die Richtlinie 2014/17 einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass das Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten des Kredits bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits nur die Zinsen und die laufzeitabhängigen Kosten umfasst.
Der EuGH antwortet auf diese Frage, dass die Richtlinie 2014/17 einer solchen nationalen Regelung nicht entgegensteht. Das fragliche Recht auf Ermäßigung zielt dem EuGH zufolge nämlich darauf ab, den Kreditvertrag an sich durch die vorzeitige Rückzahlung ändernde Umstände anzupassen. Dieses Recht umfasst somit nicht die Kosten, die unabhängig von der Vertragslaufzeit dem Verbraucher entweder zugunsten des Kreditgebers oder zugunsten Dritter für Leistungen auferlegt werden, die zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung bereits vollständig erbracht worden sind. Um den Verbraucher vor Missbrauch zu schützen, haben die nationalen Gerichte allerdings dafür Sorge zu tragen, dass die Kosten, die dem Verbraucher unabhängig von der Laufzeit des Vertrags auferlegt werden, nicht objektiv ein Entgelt des Kreditgebers für die vorübergehende Verwendung des Kapitals oder für Leistungen darstellen, die dem Verbraucher zum Zeitpunkt der vorzeitigen Rückzahlung noch erbracht werden müssten. Der Kreditgeber muss insoweit nachweisen, ob es sich bei den betreffenden Kosten um einmalige oder um regelmäßige Kosten handelt. (EuGH, Urt. v. 09.02.2023 – Rechtssache C-555/21 – UniCredit Bank Austria)

Abstract: Das Recht des Verbrauchers auf Ermäßigung der Gesamtkosten seines Immobilienkredits bei vorzeitiger Rückzahlung des Kredits umfasst nicht die laufzeitunabhängigen Kosten. Der Verbraucher kann somit nur eine Ermäßigung der Zinsen und der laufzeitabhängigen Kosten verlangen.

Steuerrecht

Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags
Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021. Das Finanzamt hatte für das Jahr 2020 einen Bescheid über 2.078 € und für das Jahr 2021 einen Vorauszahlungsbescheid über insgesamt 57 € Solidaritätszuschlag erlassen. Vor dem FG hatte das klagende Ehepaar keinen Erfolg. Mit ihrer beim BFH eingelegten Revision brachten sie vor, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags verstoße gegen das GG. Sie beriefen sich auf das Auslaufen des Solidarpakts II und damit der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 sowie die damit zusammenhängende Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Der Solidaritätszuschlag dürfe als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden. Sein Ausnahmecharakter verbiete eine dauerhafte Erhebung. Auch neue Zusatzlasten, die etwa mit der Coronapandemie oder dem Ukraine-Krieg einhergingen, könnten den Solidaritätszuschlag nicht rechtfertigen. Die Erhebung verletze sie zudem in ihren Grundrechten. Bei dem Solidaritätszuschlag handele es sich seit der im Jahr 2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung um eine verkappte „Reichensteuer“, die gegen den im GG verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße.
Der BFH ist dem nicht gefolgt. Beim Solidaritätszuschlag handelte es sich in den Jahren 2020 und 2021 um eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe; eine Vorlage der Sache an das BVerfG ist daher nicht geboten. Eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG) hat die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe muss nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die Ergänzungsabgabe kann sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings ist ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken. Deshalb kann eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren, grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist. Der Solidaritätszuschlag sollte bei seiner Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zum Jahresende 2019 hat der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung als Ergänzungsabgabe nicht verloren. Eine zwingende rechtstechnische Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länderfinanzausgleich und dem Solidaritätszuschlag besteht nicht. Zudem bestand in den Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen. Er hat weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021 fortgeführten Solidaritätszuschlag zukünftig die fortbestehenden wiedervereinigungsbedingten Kosten nicht decken werden. Dass sich diese Kosten im Laufe der Zeit weiter verringern werden, hat der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021 in Kraft tretenden Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf die Bezieher höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags wird daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will, sondern nur für eine Übergangszeit. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer Generationenaufgabe resultiert, kann auch für einen sehr langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum ist beim Solidaritätszuschlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch nicht abgelaufen. Da der ursprüngliche Zweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, kommt es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an. Der Solidaritätszuschlag verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Ab dem Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet. Die darin liegende Ungleichbehandlung ist aber gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der
Solidaritätszuschlag an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig. Daher kann auch der Gesetzgeber beim Solidaritätszuschlag, der im wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuerpflichtige mit hohen Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die ab 2021 bestehende Staffelung des Solidaritätszuschlags mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt. (BFH, Urt. v. 17.01.2023 – IX R 15/20)

Abstract: Die Erhebung des Solidaritätszuschlags war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfassungswidrig.

Arbeitsrecht

Freistellung Ungeimpfter
Zwei Pflegekräfte konnten – zumindest zeitweise – während der Dauer der von 15.03. bis 31.12.2022 bestehenden sog. einrichtungsbezogenen Impfnachweispflicht einen Impf- oder Genesenennachweis nicht vorlegen. Der Arbeitgeber stellte die Pflegekräfte frei, obwohl vom Gesundheitsamt ein Betretungs- oder Tätigkeitsverbot nicht verhängt wurde. Ab der Freistellung zahlte der Arbeitgeber kein Entgelt mehr. Die Arbeitnehmer begehrten in einem Fall Beschäftigung und Annahmeverzugsvergütung für die Zeiten der Nichtbeschäftigung, im anderen Fall wegen des Ausscheidens des Arbeitnehmers nur Annahmeverzugsvergütung. Das ArbG hat den Klagen stattgegeben. Das ArbG hat erkannt, dass ungeimpfte Pflegekräfte, die zum Zeitpunkt 15.03.2022 bereits beim Arbeitgeber beschäftigt waren, nicht automatisch einem Tätigkeitsverbot in Einrichtungen des Gesundheitswesens unterfielen. Ein Tätigkeitsverbot bedurfte vielmehr einer Anordnung des Gesundheitsamts. Der Arbeitgeber war auch nicht berechtigt, die Arbeitnehmer kraft seines Weisungsrechts bereits vor einer Entscheidung des Gesundheitsamts freizustellen. Die Berufung des Arbeitgebers hatte keinen Erfolg. Das Urteil des ArbG wurde in vollem Umfang bestätigt. Die Revision zum BAG wurde zugelassen. Vor der 4. Kammer schlossen die Parteien einen (widerruflichen) Vergleich. (LAG Baden Württemberg, Urt. v. 03.02.2023 – 7 Sa 67/22).

Abstract: Die Freistellung ungeimpfter Pflegekräfte vor Verhängung eines Tätigkeitsverbots durch das Gesundheitsamt ist unwirksam.

Zivilrecht

Keine Haftung der BAFin gegenüber Anlegern wegen Amtspflichtverletzung im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal.
Der Kläger kaufte 2019 und 2020 Aktien der Wirecard AG. Er nimmt die BAFin wegen behaupteter Aufsichts- und Informationsversäumnisse sowie Amtsmissbrauch auf Schadensersatz für die erlittenen Kursverluste in Anspruch. Die 1999 gegründete Wirecard AG unterlag der Finanzaufsicht der Beklagten. Im April 2020 gab ein vom Aufsichtsrat der Wirecard AG beauftragter Sonderprüfer bekannt, dass über die Existenz eines Bankguthabens auf Treuhandkonten in Höhe von insgesamt 1,9 Mrd. € keine ausreichenden Prüfungsnachweise zu erlangen gewesen seien. Das LG hat die Klage abgewiesen.
Die hiergegen eingelegte Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Dem Kläger stünde kein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte zu, bestätigte das OLG. Die Beklagte habe nicht gegen die ihr obliegenden Amtspflichten bei der Bilanzkontrolle verstoßen. Nach damaliger Rechtslage erfolgte die Bilanzkontrolle in einem zweistufigen System: zunächst durch eine private Prüfstelle und danach durch eine staatliche Instanz (die Beklagte). Die Beklagte habe dieses System eingehalten und im Februar 2019 eine Sonderprüfung durch eine private Prüfstelle veranlasst. Der Kläger habe keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme vorgetragen, dass die Beklagte bereits zu einem früheren Zeitpunkt eine solche Sonderprüfung hätte beauftragen müssen. Ebenso habe der Kläger keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Beklagte die Prüfstelle nicht hinreichend überwacht habe oder wegen erheblicher Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung der Prüfung die Prüfung hätte an sich ziehen müssen. Im Übrigen fehle es am Verschulden der Beklagten. Es sei schließlich nicht feststellbar, dass der Schaden des Klägers bei einem früheren Einschreiten der Beklagten nicht eingetreten wäre. Einem Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung stehe zudem entgegen, dass die Beklagte bei der Wahrnehmung der Bilanzkontrolle allein im öffentlichen Interesse tätig werde. Der einzelne Anleger werde grundsätzlich nicht durch die bankaufsichtsrechtliche Tätigkeit der Beklagten geschützt. Der Senat halte auch unter Berücksichtigung jüngster Rechtsprechung des EuGH und der Transparenz-Richtlinien an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, wonach Schadensersatzansprüche Dritter gegen die BAFin, etwa wegen unzureichender Aufsichtstätigkeit ausgeschlossen seien. Der Kläger könne auch nicht wegen Amtsmissbrauchs Schadensersatz verlangen. Es sei kein amtsmissbräuchliches Verhalten der Mitarbeiter der Beklagten feststellbar. Dass Mitarbeiter Aktien der Wirecard AG besessen hätten, sei nicht sittenwidrig. Die von der Beklagten seit 2019 ergriffenen Maßnahmen seien pflichtgemäß erfolgt. (OLG Frankfurt/Main, Hinweisbeschl. v. 28.11.2022 und Beschl. v. 06.02.2023 – 1 U 173/22)

Abstract: Die BAFin haftet Anlegern nicht auf Schadensersatz wegen unzureichender Aufsichtswahrnehmung, da die Aufgaben allein im öffentlichen Interesse wahrgenommen werden. Eine Verletzung der Bilanzkontrollpflichten im Rahmen des sog. Wirecard-Skandals ist auch nicht feststellbar.


Whistleblower
Der Bundestagsbeschluss zum Schutz von sog. Whistleblowern hat im Bundesrat nicht die erforderliche Mehrheit erhalten. Es kann daher nicht wie vorgesehen in Kraft treten. Bundesregierung und Bundestag können den Vermittlungsausschuss anrufen, um einen Kompromiss zu beraten. Das im Dezember 2022 verabschiedete Gesetz soll den Umgang mit Meldungen zu Betrügereien, Korruption und anderen Missständen in Behörden und Unternehmen regeln; ebenso mit Hinweisen auf mangelnde Verfassungstreue von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, auch wenn dabei keine konkreten Straftaten vorliegen. Hintergrund sind Vorgaben einer EU-Richtlinie, die in deutsches Recht umzusetzen sind. Das Gesetz sollte drei Monate nach Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.