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WBP NEWS

Online-News für den 15.03.2023

Erbrecht

Pflichtteilsstrafklauseln
Die Erblasserin hatte mit ihrem vorverstorbenen Ehemann ein privatschriftliches gemeinschaftliches Testament errichtet. Sie hatte aus einer früheren Ehe eine Tochter, ihr verstorbener Ehemann hatte aus früheren Ehen zwei Töchter. Die Eheleute setzten sich gegenseitig zu Alleinerben ein. Weiter hieß es: ‚Wir gehen davon aus, dass unsere Kinder keinen Anspruch auf einen Pflichtteil nach dem Tod des erstverstorbenen Elternteils erheben. Nach dem Tod des überlebenden Partners wird das Vermögen unter den Kindern (… Namen der drei Töchter) zu gleichen Teilen aufgeteilt. Ausgenommen ist dabei das Kind, das einen Pflichtteil beansprucht und erhalten hat.‘ Die Tochter der Erblasserin beantragte einen Erbschein, der sie und eine der zwei Töchter des vorverstorbenen Ehemannes zu je 1/2 als Erbinnen ausweisen soll. Sie meint, die weitere Tochter sei nicht Erbin der Erblasserin geworden sei, da sie nach dem Tod ihres Vaters ihren Pflichtteil geltend gemacht habe.
Das Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der Tochter der Erblasserin zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Gemäß der testamentarischen Schlusserbenbestimmung seien alle drei Töchter Erbinnen zu jeweils ein Drittel geworden. Die dritte Tochter habe ihren Erbanspruch nicht verwirkt. Nach dem Testament sollte dasjenige Kind von der Schlusserbschaft ausgenommen werden, das nach dem Tod des Erstversterbenden seien Pflichtteil beansprucht und erhalten hat. Voraussetzung für das Auslösen der Sanktionswirkung sei damit – abweichend von den üblichen Klauseln – nicht nur die Geltendmachung des Pflichtteils, sondern zusätzlich ein Mittelabfluss vom Nachlassvermögen. Ob die Tochter hier überhaupt ihren Pflichtteil geltend gemacht habe, könne offenbleiben. Jedenfalls habe sie nicht ihren Pflichtteil und auch sonst nichts aus dem Nachlassvermögen erhalten. Der Hinweis der anderen Töchter, sie habe ihren Pflichtteil erhalten, dieser sei aber „gleich null“ gewesen, überzeuge nicht. Ein „ins Leere gehender bzw. wertloser Pflichtteil … (löse) nicht die Sanktionswirkung der testamentarischen Pflichtteilsklausel aus“. Durch das zusätzliche Erfordernis des „Erhaltens“ hätten die Eheleute deutlich gemacht, dass es ihnen „um das Zusammenhalten des Nachlassvermögens, dessen Werthaltigkeit und den Schutz des überlebenden Ehegatten“ gegangen sei. Wenn die Tochter nichts aus dem Nachlass erhalten habe, sei der Nachlass nicht geschmälert und es bestehe nach dem Willen der Ehegatten kein Grund für eine Sanktionierung. (OLG Frankfurt, Beschl. v. 21.02.2023 – 21 W 104/22)

Abstract: Pflichtteilsstrafklauseln in gemeinschaftlichen Testamenten sollen den Nachlass für den überlebenden Ehegatten möglichst ungeschmälert erhalten. Wird die Verwirkung der Pflichtteilsklausel von den Testierenden nicht nur an das Verlangen des Pflichtteils, sondern auch an den Erhalt des Pflichtteils geknüpft, setzt die Verwirkung der Klausel einen tatsächlichen Mittelabfluss voraus. Ohne Mittelabfluss besteht kein Sanktionierungsgrund.

Steuerrecht

Unfallversicherungsschutz beim „Luftschnappen“ im Pausenbereich
Der Kläger hatte sich, als ihm keine konkrete Arbeit zugewiesen war, erlaubterweise in einem ausgewiesenen Pausen- und Raucherbereich auf dem Betriebsgelände eines Unternehmens in Ludwigshafen aufgehalten, um Luft zu schnappen. Dabei fuhr ihn ein Gabelstapler an. Er erlitt eine Unterarmfraktur und eine Kniegelenksdistorsion. Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab, weil der Kläger zur Zeit des Unfalls eine privatnützige Verrichtung ausgeführt habe. Das SozG war dem gefolgt und hatte auch keinen Versicherungsschutz wegen einer spezifischen Betriebsgefahr gesehen, weil die Gefahr in dem Pausenbereich nicht höher gewesen sei als allgemein am Wohn- und Beschäftigungsort und weil sich der Kläger dieser Gefahr freiwillig ausgesetzt habe.
Dagegen hat das LSG auf die Berufung des Klägers hin einen Arbeitsunfall festgestellt. Es lag hier eine spezifische betriebliche Gefahr vor. Die erhöhte Gefährlichkeit von Gabelstaplern gegenüber dem alltäglichen Straßenverkehr ist durch Untersuchungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) nachgewiesen und Gegenstand besonderer Unfallverhütungsvorschriften. Ein Beschäftigter darf darauf vertrauen, während einer gestatteten Pause auch in einem vom Arbeitgeber ausgewiesenen Bereich keinen gegenüber dem allgemeinen Leben erhöhten Gefahren ausgesetzt zu sein. Der Senat hat allerdings die Revision zum BSG zugelassen, weil in der bisherigen Rechtsprechung nicht endgültig geklärt ist, ob der Versicherungsschutz wegen einer spezifischen betriebsbezogenen Gefahr nur in unmittelbarer Nähe des konkreten Arbeitsplatzes besteht oder auch in einem weiter entfernt liegenden Pausenbereich wie hier. Die Berufsgenossenschaft kann daher entscheiden, ob sie Revision einlegt oder das Urteil ausführt. (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 27.02.2023 – L 1 U 2032/22)

Abstract: Unfallversicherungsschutz besteht, wenn ein Arbeitnehmer beim „Luftschnappen“ in einem ausgewiesenen Pausenbereich von einem Gabelstapler angefahren wird.

Arbeitsrecht

Tarifliche Entgelterhöhung bei ungenügender Sanierung von sanitären Einrichtungen
Der Kläger ist bei der Beklagten seit 2011 beschäftigt. Diese schloss mit der IG Metall im Jahr 2018 einen Haustarifvertrag, der eine Erhöhung der Entgelte in zwei Schritten (April 2018 und Mai 2019) um insgesamt 4,0 % vorsah. Darüber hinaus war unter „betriebliche Themen“ vereinbart, dass die Beklagte bis zum 31.12.2018 Betriebsvereinbarungen zu bestimmten Themen schließt und dazu erforderliche Baumaßnahmen durchführt. Weiterhin sollten bis zum 30.06.2019 sanitäre Einrichtungen grundsaniert werden. Anderenfalls „erfolgt zum 01.07.2019 eine weitere Erhöhung der Entgelte um 0,5 %“. Nachdem die Sanierung am 30.06.2019 nicht vollständig abgeschlossen war, hat der Kläger für die nachfolgende Zeit die entsprechende Entgelterhöhung mit einem Zahlungs- und einem Feststellungsantrag geltend gemacht. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Regelung enthalte die Vereinbarung einer Vertragsstrafe, die unwirksam, jedenfalls aber nach § 343 BGB oder § 242 BGB herabzusetzen sei. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, das LAG dem Kläger ein um 0,1 % höheres Entgelt zugesprochen.
Die Revision des Klägers hatte vor dem BAG Erfolg, während die Anschlussrevision der Beklagten weitgehend unbegründet war. Die Bedingung für die Entgelterhöhung i.S.d. § 158 Abs. 1 BGB ist aufgrund der unvollständigen Durchführung der vereinbarten Sanierungsmaßnahmen eingetreten. Bei der tarifvertraglichen Regelung handelt es sich nicht um eine Vertragsstrafe i.S.d. §§ 339 ff. BGB. Die Entgelterhöhung betrifft die Ausgestaltung der Hauptleistungspflichten der tarifgebundenen Arbeitsverhältnisse und dient daher anderen Zwecken als eine Vertragsstrafe. Mangels Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungen zur Vertragsstrafe kam eine Herabsetzung der Entgelterhöhung nach § 343 BGB nicht in Betracht. Ebenso schied eine solche auf Grundlage von § 242 BGB aus. Dem Zahlungsantrag war daher stattzugeben. Hinsichtlich des Feststellungsantrags war der Rechtsstreit aus prozessualen Gründen an das LAG zurückzuverweisen.(BAG, Urt. v. 22.02.2023 – 4 AZR 68/22)

Abstract: In einem Haustarifvertrag kann eine Entgelterhöhung für den Fall vereinbart werden, dass die Arbeitgeberin konkret bezeichnete Sanierungsmaßnahmen nicht bis zu einem bestimmten Datum durchführt. Die tarifliche Entgelterhöhung steht unter einer aufschiebenden Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 1 BGB, ohne dass es sich zugleich um eine Vertragsstrafenabrede i.S.d. §§ 339 ff. BGB handelt.

Zivilrecht

„Bitte keine Werbung einwerfen“
Der Kläger fand an der Briefkastenanlage zwei Werbeflyer des Umzugsunternehmens vor, die in eine Ritze zwischen einem Briefkasten und einem darunter liegenden Spalt der Briefkastenanlage geklemmt waren. Sämtliche Briefkästen der Anlage waren mit dem Hinweis „Bitte keine Werbung einwerfen“ gekennzeichnet. Nach Auffassung des Klägers habe die Beklagte die Werbeflyer in rücksichtsloser Art verteilen lassen. Die Bewohner des Hauses, die schon keine Werbung erhalten möchten, legten erst recht keinen Wert auf wild abgelegte oder befestigte Reklame. Hierdurch erhöhe sich der Lästigkeitsfaktor erheblich. Die Beklagte meinte demgegenüber, sie habe die angeblich störende Art einer Verteilung von Werbematerial nicht veranlasst und auch nicht zu vertreten. Die von ihr beauftragten Verteiler seien angewiesen, Werbung nur in Briefkästen einzulegen, die keinen Hinweis enthielten, dass der Nutzer keine Werbung haben möchte. Die Be- klagte verweist außerdem darauf, dass die Briefkastenanlage der Wohnanlage für je- den Passanten zugänglich sei und daher auch unbekannte Dritte das Werbematerial dort abgelegt haben könnten. Das Gericht gab der Klage vollumfänglich statt. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Unterlassung aus §§ 823 Abs. 1, 863 BGB i.V.m. § 1004 BGB analog zu. Der Kläger wurde durch die Beklagte in seinem Besitz bzw. Mitbesitz rechtswidrig gestört, es besteht Wiederholungsgefahr und die Beklagte ist Störerin. Eine Besitzstörung sei grundsätzlich anzunehmen durch das Einwerfen von WerbeFlyern, wenn wie hier erkennbar zu verstehen gegeben wird, dass der Einwurf von Werbung nicht erwünscht ist. Dem Wohnungsbesitzer steht das Recht aus § 862 BGB zu, sich gegen eine Beeinträchtigung seiner räumlich-gegenständlichen Sphäre durch das Aufdrängen von unerwünschtem Werbematerial zur Wehr zu setzen. Zwar wurde im vorliegenden Fall der Werbeflyer nicht in den dem Kläger zugewiesenen Briefkasten gesteckt; der Kläger wurde jedoch jedenfalls in seinem Mitbesitz an der Briefkastenanlage und am Eingangsbereich des Mehrfamilienhauses gestört. Die Beklagte ist mittelbare Störerin, da sie Flyer der gegenständlichen Art unstreitig auch im streitgegenständlichen Zeitraum in München hat verteilen lassen. Der Einwand der Klägerin, ihre Austräger hätten die Flyer im konkreten Fall nicht verteilt, greift nicht durch. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises kann davon ausgegangen werden, dass Handzettel eines Unternehmens auch von Werbeverteilern, die für das Unternehmen tätig sind, im Zuge von Werbeaktionen eingeworfen wurden. Hierbei handelt es sich um einen typischen Geschehensablauf. Die pauschale Behauptung, Dritte könnten Handzettel verteilt haben, steht der Bejahung des Anscheinsbeweises nicht entgegen. Der Beklagten ist es auch im Rahmen der Beweisaufnahme nicht gelungen, Tatsachen zu beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden (atypischen) Ablaufs ergibt. Auch der Einwand der Beklagten, sie habe die von ihr beauftragten Austräger angewiesen, Werbung nur auf erlaubte Weise zu verteilen, verfängt nicht. Die Beklagte ist gehalten, die von ihr beauftragten Verteiler eindringlich auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Organisation und Kontrolle der Werbeaktion hinzuweisen, sich über den Einsatz geeigneter Schutzvorkehrungen zu vergewissern, Beanstandungen nachzugehen, schließlich gegebenenfalls dem Anliegen durch Androhung wirtschaftlicher und rechtlicher Sanktionen einen stärkeren Nachdruck zu verleihen. Zu denken ist hier etwa an eine Vertragsstrafenvereinbarung. Zur Einleitung derartiger Maßnahmen hat die Beklagte jedenfalls nach dem vom Kläger gerügten Verstoß jedoch nichts vorgetragen. (…) (AG München, Urt. v18.03.2022 – 142 C 12408/21; rkr.)

Abstract: Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises ist davon auszugehen, dass Handzettel eines Unternehmens auch von Werbeverteilern, die für das Unternehmen tätig sind, im Zuge von Werbeaktionen eingeworfen werden. Hierbei handelt es sich um einen typischen Geschehensablauf.

Digitale Mitgliederversammlungen
Der Bundesrat hat das vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Ermöglichung hybrider und virtueller Mitgliederversammlungen im Vereinsrecht gebilligt. Es ergänzt das BGB um eine Regelung, die es erlaubt, dass Vereinsmitglieder auch ohne Anwesenheit am Versammlungsort im Wege der elektronischen Kommunikation an der Mitgliederversammlung teilnehmen und andere Mitgliederrechte ausüben können. Neben dieser Möglichkeit der sog. hybriden Versammlung können die Mitglieder auch beschließen, dass Versammlungen rein virtuell stattfinden, die Teilnahme also nur mittels elektronischer Kommunikation möglich ist. Wird eine hybride oder virtuelle Versammlung einberufen, so muss bei der Berufung auch angegeben werden, wie die Mitglieder ihre Rechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können.