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WBP NEWS

Online-News für den 15.05.2024

Zivilrecht

Amazon hat eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb
Amazon ist weltweit unter anderem im Bereich des E-Commerce, als stationärer Einzelhändler und als Anbieter von cloudbasierten IT-Dienstleistungen (Amazon Web Services, AWS) tätig. Der Konzern war zum 27.12.2021 mit einer Marktkapitalisierung von 1,721 Bio. USD das fünftwertvollste Unternehmen der Welt, wobei der Börsenwert innerhalb der vorangegangenen sieben Jahre um etwa 443 % gestiegen war. Das Unternehmen erzielte im Geschäftsjahr 2021 weltweit Umsätze von rund 469,8 Mrd. USD. Auf Deutschland entfielen davon rund 37,3 Mrd. USD. Damit stellte Deutschland auf den Umsatz bezogen nach den USA den zweitwichtigsten (Absatz-)Markt für Amazon dar. Die jährlichen Gewinne stiegen von (weltweit) 3 Mrd. USD im Geschäftsjahr 2017 auf 33,4 Mrd. USD in 2021, mithin um 1013 %. Amazon gehört mit 1,6 Mio. Mitarbeitern zum 31.12.2021 zu den größten Arbeitgebern weltweit. Das Bundeskartellamt hat mit Beschluss v. 05.07.2022 nach § 19a Abs. 1 GWB festgestellt, dass Amazon.com, Inc. einschließlich der mit ihr verbundenen Unternehmen eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Die Feststellung ist auf fünf Jahre nach Eintritt der Bestandskraft befristet. Gegen diesen Beschluss haben Amazon.com, Inc. und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben. Während des Beschwerdeverfahrens wurde Amazon von der Europäischen Kommission als Torwächter gemäß Art. 3 Digital Markets Act (DMA) benannt. Für die von Amazon betriebenen Vermittlungsplattformen Amazon Marketplace und Amazon Advertising gelten in der Europäischen Union seit dem 07.03.2024 die das Marktverhalten regelnden Vorschriften des DMA.
Die Beschwerde hatte keinen Erfolg. Der BGH ist für die Beschwerde gemäß § 73 Abs. 5 Nr. 1 GWB in erster und letzter Instanz zuständig. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht. § 19a Abs. 1 GWB und der auf Grund dieser Vorschrift erlassenen Feststellungsverfügung stehen auch keine unionsrechtlichen Gründe entgegen. § 19a Abs. 1 GWB ist eine Vorschrift des nationalen Wettbewerbsrechts, deren Anwendung neben dem DMA zulässig ist. Da sich die Feststellungsverfügung nicht auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft bezieht, verstößt sie auch nicht gegen das sich aus der Richtlinie 2000/31/EG (E-Commerce-Richtlinie) ergebende Verbot der Einschränkung des freien Verkehrs von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat. § 19a Abs. 1 GWB musste ferner bei der Europäischen Kommission nicht nach der Richtlinie (EU) 2015/1535 notifiziert werden, weil es sich nicht um eine allgemein gehaltene Vorschrift betreffend Dienste der Informationsgesellschaft im Sinn dieser Richtlinie handelt. Danach bestand kein Anlass, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten. Das Bundeskartellamt hat gemäß § 19a Abs. 1 GWB zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten gemäß § 18 Abs. 3a GWB tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt. Amazon unterhält weltweit 21 länderspezifische Domains mit Handelsplattformen (Amazon Store) und vertreibt darüber als Hersteller und Einzelhändler physische und digitale Waren an Endkunden (etwa Amazon Retail, Home Entertainment, Twitch, Prime Video, Kindle Content, Amazon Music, Amazon Games, Amazon Echo und Amazon Alexa, Amazon Fire, Fire TV, SmartHome-Geräte). Gleichzeitig betreibt Amazon die Handelsplattformen als Online-Marktplätze und ermöglicht es dritten Online-Händlern gegen Provisionszahlung, ihre Waren Endkunden anzubieten. Amazon hat eine eigene Logistikinfrastruktur und vermittelt – auch in Deutschland – Versandaufträge zwischen dritten Online-Händlern und Versanddienstleistern. Amazon Advertising bringt Werbekunden und Anbieter von Werbeflächen zusammen. Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotential durch die Vorschrift adressiert wird. § 19a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen. Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potentiale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von AWS. Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben. Die nunmehrige Geltung der Regelungen des DMA und die während des Beschwerdeverfahrens gegenüber der Europäischen Kommission im Rahmen eines Missbrauchsverfahrens abgegebenen Zusagen von Amazon stehen der Feststellung nicht entgegen. (BGH, Beschl. v. 23.04.2024 – KVB 56/22 – Amazon)

Abstract: Amazon hat eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb.

Steuerrecht

Anwendung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes bei Schätzungen der Einnahmen
Ein Restaurantbetreiber, der einen großen Teil seiner Einnahmen in Form von Bargeld erzielte, verwendete in den Jahren 2011 bis 2014 eine elektronische Registrierkasse sehr einfacher Bauart, die bereits in den 1980er Jahren entwickelt worden war. Das Finanzamt (FA) sah die Aufzeichnungen des Klägers nicht als ordnungsgemäß an und nahm eine Vollschätzung der Erlöse vor. Dies führte zu einer Vervierfachung der erklärten Umsätze. Das Finanzgericht (FG) beauftragte einen Sachverständigen mit der Begutachtung der Registrierkasse. Dieser kam zu dem Ergebnis, ein bestimmter interner Zähler der Kasse, der die Lückenlosigkeit der Tagesausdrucke sicherstellen solle (Z1-Zähler), könne durch Eingabe entsprechender Codes verändert werden. Eine solche Änderung könne allerdings im Zuge von Reparaturen der Kasse erforderlich werden. Daraufhin sah das FG die Kasse als objektiv manipulierbar – und damit ungeeignet für steuerliche Zwecke – an und bestätigte die Vollschätzung des FA im Wesentlichen. Eine tatsächliche Manipulation der Kasse hat das FG nicht feststellen können.
Diese Entscheidung hat der BFH aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung an das FG zurückverwiesen. Zwar sei die vom Kläger verwendete Registrierkasse objektiv manipulierbar gewesen. Dies stelle grundsätzlich einen formellen Mangel von hohem Gewicht dar, der dem FA eine Schätzungsbefugnis gebe. Allerdings sei das Wissen um die Manipulierbarkeit derart alter Kassenmodelle erst im Laufe der Zeit gewachsen. Daher sei den Steuerpflichtigen in Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unter bestimmten –im Urteil näher ausgeführten – Voraussetzungen Vertrauensschutz zu gewähren. Das Gewicht des in der objektiven Manipulierbarkeit liegenden Mangels sei dann nicht so hoch wie im Regelfall und könne bei Führung zusätzlicher Nachweise sogar ganz entfallen. (BFH, Urt. v. 28.11.2023 – X R 3/22)

Abstract: Einem Steuerpflichtigen ist in Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit unter bestimmten Voraussetzungen Vertrauensschutz zu gewähren, auch wenn eine Registrierkasse Manipuliermöglichkeiten aufweist. Das Gewicht des in der objektiven Manipulierbarkeit liegenden Mangels ist dann nicht so hoch wie im Regelfall und kann bei Führung zusätzlicher Nachweise sogar ganz entfallen.

Arbeitsrecht

Weniger Kandidaten als Betriebsratssitze bei Betriebsratswahl
Die Arbeitgeberin ist Trägerin einer Klinik mit in der Regel 170 beschäftigten Arbeitnehmern. Bei dieser Betriebsgröße sieht die Staffelung von § 9 BetrVG einen aus sieben Mitgliedern bestehenden Betriebsrat vor. Bei der im Frühjahr 2022 eingeleiteten Betriebsratswahl kandidierten nur drei Arbeitnehmerinnen und es wurde ein Betriebsrat mit drei Mitgliedern gewählt. Die Arbeitgeberin hat diese Wahl für nichtig gehalten und beim Arbeitsgericht eine entsprechende Feststellung begehrt. Dem haben die Vorinstanzen nicht entsprochen und die Betriebsratswahl für wirksam erachtet.
Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte keinen Erfolg. Es steht der Wahl eines Betriebsrats nicht entgegen, wenn sich nicht genügend Bewerber für das Betriebsratsamt finden. Das folgt vor allem aus dem in § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ausgedrückten Willen des Gesetzgebers, dass in Betrieben mit in der Regel mindestens fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, Betriebsräte gewählt werden. Bei der Betriebsratsgröße ist in der Konstellation von weniger Kandidaten als zu besetzenden Betriebsratssitzen auf die (jeweils) nächstniedrigere Stufe des § 9 BetrVG so lange zurückzugehen, bis die Zahl von Bewerbern für die Errichtung eines Gremiums mit einer ungeraden Anzahl an Mitgliedern ausreicht. (BAG, Beschl. v. 24.04.2024 – 7 ABR 26/23)

Abstract: Bewerben sich bei einer Betriebsratswahl weniger Arbeitnehmer um einen Betriebsratssitz als Betriebsratsmitglieder zu wählen sind, kann ein „kleinerer“ Betriebsrat errichtet werden.

Sozialrecht

Versicherungs- und Beitragsrecht – betriebliche Jubiläumsfeier – Aufwendungen – geldwerter Vorteil – Pauschalversteuerung
Die klagende GmbH feierte am 05.09.2015 ihr Firmenjubiläum. Dazu lud sie ihre Beschäftigten ein. Nachdem sie die von ihr selbst getragenen Kosten zunächst nicht bei den Steueranmeldungen berücksichtigt und auch keine Lohnsteuer darauf vom Entgelt ihrer Arbeitnehmer einbehalten hatte, zahlte die Klägerin die am 31.03.2016 für September 2015 auf einen Betrag von 162.892,96 € für 162 Arbeitnehmer angemeldete Pauschalsteuer. Das Finanzamt akzeptierte dies. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen forderte nach einer Betriebsprüfung unter Berücksichtigung der maßgebenden Beitragsbemessungsgrenzen auf eine Entgeltsumme von 143.634,68 € Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung und auf eine Entgeltsumme von 156.473,53 Euro Beiträge zur gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie eine Insolvenzgeldumlage in Höhe von insgesamt 60.043,71 Euro von der Klägerin. Das SozG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben, das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, dass das Beitragsrecht in möglichst weitgehender Übereinstimmung mit dem Steuerrecht ausgelegt werden müsse. Die Beklagte müsse die Entscheidung des Finanzamts, die pauschale Versteuerung zuzulassen, gegen sich gelten lassen. Nachdem der Betrag pauschal besteuert worden sei, dürfe er nicht mehr dem Arbeitsentgelt der Beschäftigten zugerechnet und verbeitragt werden. Die Pauschalbesteuerung müsse nicht bis zum 28. Februar des Folgejahres wegen der bis dahin auszustellenden Lohnsteuerbescheinigung nachgeholt werden. Die Beklagte rügt mit ihrer Revision eine Verletzung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV). Da die Beiträge zum 28.02.2016 fällig geworden seien, scheide eine spätere Pauschalversteuerung aus. Sozialversicherungsbeiträge müssten hinreichend klar feststellbar sein. Das Beitragsrecht kenne keine Beitragsvorauszahlung oder einen vorläufigen Beitrag, sondern nur einen Ist-Betrag, der mit der Lohnsteuerbescheinigung spätestens am 28.02. des Folgejahres feststehe. Über die Beitragspflicht müsse im Monat des Zuflusses des Arbeitsentgelts entschieden werden. Die Beitragsfreiheit nach der SvEV dürfe nicht von in der Zukunft liegenden möglichen Ereignissen abhängig gemacht werden.
Die Revision der Beklagten hat zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und Abweisung der Klage geführt. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung Oldenburg-Bremen hat zu Recht Beiträge und Insolvenzgeldumlagen auf die Zuwendungen der klagenden GmbH an ihre Beschäftigten anlässlich der Jubiläumsfeier im September 2015 festgesetzt. Der Beitragsbemessung in der Sozialversicherung unterliegt unter anderem das Arbeitsentgelt. Dazu gehören auch die Aufwendungen, die der Klägerin für Güter und Dienstleistungen aufgrund der Betriebsfeier zum Firmenjubiläum für ihre Beschäftigten entstanden sind und 110 € pro Beschäftigten überschreiten. Die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Beitragsfreiheit sind nicht erfüllt. Dafür hätte die Klägerin zeitgleich mit den Entgeltabrechnungen diese Aufwendungen zumindest zur pauschalen Besteuerung anmelden und dadurch den Übergang der Steuerschuld auf sich auslösen müssen. Nach der zum 22.04.2015 geänderten SvEV reicht die bloße Möglichkeit der pauschalen Besteuerung nicht mehr aus. Sie muss tatsächlich und mit der Entgeltabrechnung durchgeführt werden. Insofern unterscheidet sich das Beitragsrecht vom Steuerrecht. Eine Pauschalbesteuerung erst am 31.03.2016 reicht dafür jedenfalls nicht. In diesem Zeitpunkt waren die Entgeltabrechnungen sowohl sozialversicherungs- als auch steuerrechtlich nicht mehr änderbar. (BSG, Urt. v. 23.04.2024 – B 12 BA 3/22 R)

Abstract: Der Beitragsbemessung in der Sozialversicherung unterliegt unter anderem das Arbeitsentgelt. Dazu gehören auch die Aufwendungen, die der Klägerin für Güter und Dienstleistungen aufgrund der Betriebsfeier zum Firmenjubiläum für ihre Beschäftigten entstanden sind und 110 € pro Beschäftigten überschreiten.

Bundesrat billigt Solarpaket I
Der Bundesrat hat das sog. Solarpaket I gebilligt, das der Bundestag kurz zuvor beschlossen hatte. Das Gesetz sieht Änderungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und anderer Rechtsvorschriften vor. Es soll nach Angaben der Bundesregierung den jährlichen Zubau von Photovoltaik verdreifachen – von 7,5 Gigawatt (GW) im Jahr 2022 auf bis 22 GW in Jahr 2026 – damit bis zum Jahr 2030 schließlich 215 GW erreicht werden können. Vereinfachungen enthält das Gesetz für Bürger, die auf dem heimischen Balkon eine Steckersolaranlage betreiben wollen. Diese sog. Balkonkraftwerke müssen zukünftig nicht mehr beim Netzbetreiber angemeldet, sondern lediglich im Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur registriert werden. Balkonanlagen dürfen mit bis zu 800 Watt auch eine höhere Leistung haben als bisher.