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WBP NEWS

Online-News für den 15.04.2024

Zivilrecht

Reiserücktrittsversicherung muss zahlen, wenn sich Schürfwunde nach Versicherungsabschluss zum Geschwür ausweitet
Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seinen Sohn im November 2019 eine Reise nach Kuba für Februar 2020 gebucht. Nur wenige Tage später stürzte die Frau des Klägers von der Leiter und zog sich hierbei u. a. eine Schürfwunde am Knöchel zu. Im Anschluss bestellte der Kläger für seine Familie eine „Jahres-Reise-Karte“, die auch eine Reiserücktrittskostenversicherung beinhaltete. In dieser war Versicherungsschutz für Tod, schweren Unfall und unerwartet schwere Erkrankung vereinbart. Für den Fall einer unerwarteten Verschlechterung einer schon bestehenden Krankheit wurde in den Klauseln Versicherungsschutz ausgeschlossen, sofern in den letzten sechs Monaten vor Vertragsschluss eine Behandlung wegen der Erkrankung erfolgte. Im Januar 2020 musste die Frau des Klägers sich einer stationär durchgeführten Hauttransplantation unterziehen, nachdem die Wunde am Knöchel sich im Dezember 2019 infiziert und sich infolgedessen ein Geschwür (Ulkus) entwickelt hatte. Der Kläger hat sodann die Reise storniert und bei der beklagten Versicherung die ihm berechneten Stornokosten geltend gemacht. Das LG hat die Klage abgewiesen, denn die Ehefrau des Klägers sei bei Abschluss der Versicherung aufgrund der Schürfwunde bereits am Knöchel erkrankt gewesen. Zwar sei auch eine unerwartete Verschlechterung grundsätzlich versichert. Allerdings sei die Ehefrau des Klägers hier vor Abschluss des Versicherungsvertrags bereits am Knöchel behandelt worden, weshalb aufgrund der Vertragsbedingungen kein Anspruch bestehe.
Das OLG hat über die Frage der Behandlung der Ehefrau des Klägers am Knöchel vor Vertragsschluss die behandelnden Ärzte als Zeugen vernommen und die Versicherung sodann zur Übernahme der Stornokosten verurteilt. Das OLG hat die Kenntnis der Ehefrau des Klägers vom Vorliegen einer Erkrankung bei Vertragsschluss abgelehnt. Bei einem Ulkus, das heißt einem – erst durch einen Infekt ausgelösten – Substanzdefekt der Haut, handele es sich objektiv um ein ganz anderes Erkrankungsbild als bei einer „bloßen“ sturzbedingten Schürfwunde. Dass der Ulkus ohne diese Wunde nicht entstanden wäre, ändert nichts daran, dass es zu seiner Entstehung erst einer Infizierung der Wunde bedurft habe. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätten noch keine Anzeichen für eine solche Infizierung vorgelegen. Ohne Erfolg habe die Versicherung eingewendet, dass die einzelnen Erkrankungsfolgen aus dem Sturz der Ehefrau einheitlich betrachtet werden müssten, weil es sich bei dem Sturz um einen Schadensfall handele. Aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers knüpfen die Vertragsbedingungen die Ersatzpflicht der Versicherung nicht an den Schadensfall, sondern den Eintritt einer unerwartet schweren Erkrankung. Selbst wenn man in der Wunde am Bein nach dem Sturz und dem später aufgetretenen Ulkus die gleiche Erkrankung sehen wollte, die sich lediglich unerwartet verschlechtert habe, sei hier ein Anspruch gegeben. Denn die Vernehmung der behandelnden Ärzte habe nicht ergeben, dass die Wunde in den letzten sechs Monaten vor Versicherungsabschluss behandelt worden sei. (Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 18.03.2024 – 16 U 74/23)

Abstract: Wer vor dem Abschluss der Reiserücktrittsversicherung eine Schürfwunde am Knöchel infolge eines Leitersturzes erlitten hatte, verliert seinen Versicherungsschutz nicht, wenn sich die Schürfwunde anschließend infiziert und ein Geschwür (Ulkus) hervorruft.

Sozialrecht

Steuerlicher Verlustvortrag bei Witweneinkommen nicht zu berücksichtigen
Wie die Vorinstanzen hat das BSG entschieden, dass im Rahmen der Einkommensanrechnung auf Hinterbliebenenrenten ein Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 EstG nicht einzubeziehen ist. Es hat damit an seiner bisherigen Auffassung auch unter Geltung des zum 01.01.2002 eingeführten § 18a Absatz 2a SGB IV festgehalten.
Die Vorschrift soll sicherstellen, dass für die Einkommensanrechnung grundsätzlich alle Arten von Arbeitseinkommen berücksichtigt werden. Das Außer-Acht-Lassen eines steuerlichen Verlustvortrags entspricht schließlich dem Sinn und Zweck der Hinterbliebenenversorgung. Diese dient als Ersatz des Unterhalts, der aufgrund des Todes des Versicherten nicht mehr geleistet wird. Eigenes Einkommen des Hinterbliebenen wird in einem bestimmten Umfang angerechnet, weil der Hinterbliebene sich dadurch ganz oder zumindest teilweise selbst unterhalten kann. Abzustellen ist dabei auf das verfügbare Einkommen. Dass ein Hinterbliebener berechtigt ist, seine Einkommensteuerpflicht im Veranlagungszeitraum zu mindern, indem er negative Einkünfte aus im Einzelfall weit zurückliegenden früheren Veranlagungszeiträumen in Abzug bringt, sagt nichts über seine aktuelle wirtschaftliche Leistungsfähigkeit aus. (BSG, Urt. v. 22.02.2024 – B 5 R 3/23 R).

Abstract: Ein von der Finanzverwaltung anerkannter Verlustvortrag bleibt bei der Bestimmung des auf eine Witwenrente anzurechnenden Arbeitseinkommens unberücksichtigt.

Arbeitsrecht

Zustimmung zur Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden von Amazon ersetzt
Amazon beabsichtigt, das Arbeitsverhältnis des Vorsitzenden des Betriebsrats Winsen/Luhe zu kündigen. Ihm wird vorgeworfen, Zeiten seiner Tätigkeit für den Betriebsrat schuldhaft falsch dokumentiert und dadurch gegen seinen Arbeitsvertrag verstoßen zu haben. Der Betriebsrat hatte seine dafür erforderliche Zustimmung nicht erteilt, das ArbG hat sie auf Antrag der Arbeitgeberin ersetzt. Die hiergegen gerichteten Beschwerden des Betriebsrates und des Betriebsratsvorsitzenden hat das LAG zurückgewiesen.
Nach Anhörung des Betriebsratsvorsitzenden und Vernehmung zweier Zeugen war die Kammer hinreichend von dem Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten und davon, dass dieser aufgrund der Fallumstände eine außerordentliche Kündigung rechtfertigt überzeugt. (LAG Niedersachsen, Beschluss vom 28.02.2024 – 13 TaBV 40/23)

Abstract: Wenn das Gericht – ggf. nach Anhörung des Betriebsratsvorsitzenden und Vernehmung von Zeugen – hinreichend von einem Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten überzeugt ist und der Betriebsrat einer außerordentlichen Kündigung nicht zustimmt, kann diese Zustimmung durch das Gericht ersetzt werden.

Erbrecht

Erbeinsetzung auf einem Kneipenblock
Verstorben war ein Gastwirt. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte die Erteilung eines Erbscheins. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke aufgefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname einer Person (hier „X“ genannt) vermerkt. Auf dem Zettel hieß es lediglich „X bekommt alles“. Das AG sah die Partnerin nicht als Erbin an. Es war der Auffassung, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille.
Der auf das Erbrecht spezialisierte Senat des OLG gelangte zu einer anderen Bewertung. Der handschriftliche Text auf dem Zettel sei ein wirksames Testament. Der Senat war aufgrund der Einzelheiten des Verfahrens überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück selbst verfasst hatte und dass er mit dem genannten Spitznamen allein seine Partnerin gemeint habe. Auch dass der Erblasser mit der handschriftlichen Notiz seinen Nachlass verbindlich regeln wollte, stand für den Senat aufgrund von Zeugenangaben fest. Dass sich die Notiz auf einer ungewöhnlichen Unterlage befinde, nicht als Testament bezeichnet und zudem hinter der Theke gelagert war, stehe der Einordnung als Testament nicht entgegen. Zum einen sei es eine Eigenart des Erblassers gewesen, für ihn wichtige Dokumente hinter dem Tresen zu lagern. Zum anderen reiche es für die Annahme eines Testaments aus, dass der Testierwille des Erblassers eindeutig zu ermitteln sei und die vom ihm erstellte Notiz seine Unterschrift trage. Der Senat stellte die Partnerin daher als rechtmäßige Erbin fest. (OLG Oldenburg, Beschl. v. 20.12.2023 – 3 W 96/23)

Abstract: Ein Testament muss nicht zwingend auf einem weißen Blatt Papier entstehen.

Keine Zustimmung für Novelle des Onlinezugangsgesetzes
Das „Gesetz zur Änderung des Onlinezugangsgesetzes sowie weiterer Vorschriften zur Digitalisierung der Verwaltung“ verfehlte im Bundesrat die notwendige Mehrheit. Auch der Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses scheiterte. Ziel des Gesetzes sollte sein, behördliche Verwaltungsleistungen auch digital über Verwaltungsportale anzubieten. Es schafft Strukturen für eine verbesserte Zusammenarbeit von Bund und Ländern und soll eine einfache, moderne und digitale Verfahrensabwicklung im übergreifenden Portalverbund ermöglichen. Grundlage für die Kommunikation mit der Verwaltung ist die BundID – ein zentrales digitales Bürgerkonto- in Verbindung mit der Online-Ausweisfunktion des Personalausweises (eID) zur Identifikation. Außerdem soll ein schriftformersetzendes qualifiziertes elektronisches Siegel und eine Regelung zu Digital-Only für Unternehmensleistungen eingeführt werden. Nachdem der Bundesrat dem Gesetz nicht zugestimmt hat, haben nun Bundestag und Bundesregierung die Möglichkeit den Vermittlungsausschuss einzuberufen. Feste Fristen gibt es dafür nicht.