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WBP NEWS

Online-News für den 15.07.2023

Zivilrecht

Teurer Rückbau
Die Klägerin, eine Kleinstadt in Schleswig-Holstein, ist Eigentümerin eines zur Ostsee hin gelegenen Strandabschnitts. Im Jahr 2017 erwarb der Beklagte ein an den Strandabschnitt der Klägerin angrenzendes Grundstück. Dieses war durch eine mit Hecken bewachsene und zum Strand auslaufende Böschung vom Grundstück der Klägerin getrennt. Zwischen Ende 2020 und Ende Juni 2021 ließ der Beklagte das Gehölz entfernen und auf dem Grundstück der Klägerin eine senkrechte Abböschung, eine Treppe und einen Plattenweg in Richtung Ostsee legen. Den Bereich hinter der Abböschung ließ der Beklagte auf einer Breite von ca. 5 Metern mit Sand anschütten und mit Strandhafer bepflanzen. Parallel hierzu versuchte der Kläger erfolglos einen etwa 5 Meter breiten Grundstücksstreifen von der Klägerin zu kaufen, zu mieten oder zu pachten. Die Klägerin veranlasste hierauf eine Grenzvermessung, forderte den Beklagten mit anwaltlicher Hilfe im November 2021 zum Rückbau und der Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands auf ihrem Grundstück auf und brachte den Fall schließlich vor das LG. Hier unterlag der Beklagte. Das LG begründete seine Entscheidung unter anderem damit, dass der Beklagte, dessen eigene Einigungsbemühungen mit der Klägerin gescheitert waren, sich auch nicht auf Abmachungen zwischen dem Voreigentümer seines Grundstücks und der Klägerin berufen konnte, denn der Beklagte konnte seine Behauptung, dass die Nutzung eines Grundstückstreifens der Klägerin mit dem Voreigentümer vertraglich vereinbart worden sei, vor Gericht nicht beweisen. Als unerheblich wertete das Gericht auch den Vortrag des Beklagten, dass die Klägerin die Pflege des überbauten Grundstückstreifens durch den Voreigentümer geduldet habe, denn die landschaftsbaulichen Umgestaltungsarbeiten des Beklagten gingen weit über den durch ihn behaupteten Heckenschnitt und die Rasenpflege durch den Voreigentümer hinaus. Und auch mit dem Einwand, dass die Klägerin den Eigentümern der Nachbargrundstücke bereits vor Jahrzehnten Grundstücksteile verkaufte, hatte der Beklagte keinen Erfolg. Das LG verwies diesbezüglich darauf, dass auch nach diesen Verkäufen die Breite des dort verbliebenen Uferstreifens der Klägerin der Breite des Uferstreifens hinter dem Grundstück des Beklagten entspricht. Damit konnte der Beklagte sich zur Abwehr der Forderungen der Klägerin nur noch darauf berufen, dass ihm der Rückbau seiner Anlagen aus finanzieller Sicht unzumutbar sei. Damit drang er jedoch nicht durch. Das LG verwies darauf, dass der Rückbau für den Beklagten sicherlich mit erheblichen Kosten verbunden sei. Er sei ihm ungeachtet dessen aber zuzumuten. Es könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Beklagte nicht von der Rechtmäßigkeit seiner Arbeiten ausgehen durfte. Er hatte schließlich durch seine Anfragen an die Klägerin gezeigt, dass er wusste, dass er selbst nicht Grundstückseigentümer war. Dass er dennoch Fakten schuf, konnte sich jetzt nicht zu seinen Gunsten auswirken. Dabei bleibt es für den Beklagten nicht allein bei den Kosten des Rückbaus und des Rechtsstreits. Zusätzlich wurden ihm die Kosten der Grenzvermessung und der vorgerichtlichen Tätigkeit der Anwälte der Klägerin auferlegt. (LG Lübeck, Urt. v. 26.06.2023, 10 O 298/22; nrkr.)

Abstract: Wer auf dem Nachbargrundstück bauen will, der sollte vor Baubeginn eine Einigung mit seinem Grundstücknachbarn treffen. Anderenfalls droht der Rückbau – auch wenn dessen Kosten unverhältnismäßig hoch sind.

Steuerrecht

Auch Gewinne aus dem Online-Pokerspiel können der Einkommensteuer unterliegen
Ein Mathematikstudent hatte im Jahr 2007 mit dem Online-Pokerspiel – in der Variante „Texas Hold´em/Fixed Limit“– begonnen. Ausgehend von zunächst kleinen Einsätzen und Gewinnen steigerte er seine Einsätze allmählich. Auch seine Gewinne stiegen im Zeitablauf erheblich an. Im Streitjahr 2009 erzielte er aus dem Online-Pokerspiel bereits einen Gewinn von über 80.000 €, der in den Folgejahren weiter anstieg. Allein im Zeitraum von Juli bis Dezember 2009 belief sich seine registrierte Gesamtspielzeit auf 673 Stunden. Das FG als Tatsacheninstanz hat den Sachverhalt dahingehend gewürdigt, dass der Kläger ab Oktober 2009 gewerblich tätig gewesen sei und demzufolge der in den Monaten Oktober bis Dezember 2009 erzielte Gewinn von gut 60.000 € der Einkommensteuer unterliege. Dies hat der BFH bestätigt. Er hat dabei an frühere Entscheidungen zum Pokerspiel in Form von Präsenzturnieren und in Casinos angeknüpft. Danach ist Poker in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht kein reines Glücksspiel, sondern auch durch Geschicklichkeitselemente gekennzeichnet. Dies gilt auch beim Online-Poker, selbst wenn dort kein persönlicher Kontakt zu den Mitspielern möglich ist. Allerdings unterliegt nach der Rechtsprechung des BFH – unabhängig von der Form des Pokerspiels – nicht jeder Pokerspieler der Einkommensteuer. Für Freizeit- und Hobbyspieler handelt es sich weiterhin um eine private Tätigkeit, bei der Gewinne – und auch Verluste – keine steuerliche Auswirkung haben. Wenn jedoch der Rahmen einer privaten Hobbytätigkeit überschritten wird und es dem Spieler nicht mehr um die Befriedigung seiner Spielbedürfnisse geht, sondern um die Erzielung von Einkünften, ist sein Handeln als gewerblich anzusehen. Maßgebend ist die strukturelle Vergleichbarkeit mit einem Gewerbetreibenden bzw. Berufsspieler, z.B. die Planmäßigkeit des Handelns, die Ausnutzung eines Marktes oder der Umfang des investierten Geld- und Zeitbudgets. (BFH, Urt. v. 22.02.2023 – X R 8/21)

Abstract: Auch Gewinne aus dem Online-Pokerspiel können als Einkünfte aus Gewerbebetrieb der Einkommensteuer unterliegen.

Arbeitsrecht

Offene Videoüberwachung – Verwertungsverbot
Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt als Teamsprecher in der Gießerei beschäftigt. Die Beklagte wirft ihm u.a. vor, am 02.06.2018 eine sog. Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet zu haben, sie gleichwohl vergütet zu bekommen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Kläger zwar an diesem Tag zunächst das Werksgelände betreten. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab nach dem Vortrag der Beklagten aber, dass der Kläger dieses noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger u.a. geltend gemacht, er habe am 02.06.2018 gearbeitet. Die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden. Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte bis auf einen Antrag betreffend ein Zwischenzeugnis Erfolg. Sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das LAG. Dieses musste nicht nur das Vorbringen der Beklagten zum Verlassen des Werksgeländes durch den Kläger vor Beginn der Mehrarbeitsschicht zu Grunde legen, sondern ggf. auch die betreffende Bildsequenz aus der Videoüberwachung am Tor zum Werksgelände in Augenschein nehmen. Dies folgt aus den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall ist es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat. Der Senat konnte offenlassen, ob ausnahmsweise aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverstöße in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Das war vorliegend nicht der Fall. (BAG, Urt. v. 29.06.2023 – 2 AZR 296/22)

Abstract: In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht.

Zivilrecht

Bedrohung des Vermieters rechtfertigt fristlose Kündigung
Das AG hat entschieden, dass der Vermieter sofort das Mietverhältnis fristlos kündigen kann, wenn der Mieter oder ein Mitbewohner ihm gegenüber im Rahmen einer streitigen Auseinandersetzung ankündigt, er werde ihn töten, und sodann einen Dritten dazu auffordert, ihm ein Messer zu bringen. Die Mietvertragsparteien stritten bereits länger über die Nutzung des zugehörigen Gartens. Im Zug einer weiteren Auseinandersetzung vor der Wohnung der Vermieterin eskalierte die Situation, woraufhin diese die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses ausgesprochen und sodann gegen den Mieter und dessen Mitbewohnerin Klage auf Räumung der Wohnung und Erstattung der Kosten für die anwaltliche Kündigung erhoben hat. Über den Hergang des Vorfalls machten die Parteien unterschiedliche Angaben. Nachdem die Wohnung während des Verfahrens zurückgegeben wurde, hat das AG der Vermieterin die Kosten für die Kündigung zugesprochen, weil diese rechtmäßig war. Nach der Beweisaufnahme stellte sich für das Gericht der Vorgang derart dar, dass die Beteiligten zunächst verbal stritten. Sodann habe die Mitbewohnerin des Mieters gegenüber der Vermieterin geäußert, sie werde sie töten, und zugleich eine weitere Person aufgefordert, ihr ein Messer zu bringen, was sodann auch geschah. Hierauf schloss die Vermieterin ihre Wohnungstür. Ein solches Verhalten rechtfertige bereits eine fristlose Kündigung. Darauf, ob das Messer sodann tatsächlich gegen die Tür der Vermieterin eingesetzt wurde, komme es ebenso wenig an, wie auf die Tatsache, dass die Tat nicht von dem Mieter selbst, sondern lediglich dessen Mitbewohnerin begangen wurde. Es sei auch kein Grund ersichtlich gewesen, der für eine Notwehrsituation sprechen würde. Weil der Mieter sich Fehlverhalten seiner Mitbewohner zurechnen lassen müsse, hafte er auch für die Kosten, welche der Vermieterin für die Inanspruchnahme ihres Rechtsanwalts zum Ausspruch der Kündigung entstanden sind. (AG Hanau, Urt. v. 22.05.2023 – 34 C 80/22 (14); nrkr.)

Abstract: Eine Ankündigung der Tötung des Vermieters verbunden mit der Aufforderung, sich ein Messer geben zu lassen, rechtfertigt die sofortige Beendigung des Mietvertrags.

Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verabschiedet.
Der Bundestag hat in zweiter und dritter Lesung die 11. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verabschiedet. Das GWB wird oft als das „wirtschaftliche Grundgesetz“ der sozialen Marktwirtschaft bezeichnet. Die Novelle zielt auf eine umfassende Durchsetzung des Wettbewerbsprinzips:

• Erstens ist ein neues Eingriffsinstrument vorgesehen, mit dem das Bundeskartellamt im Anschluss an eine Sektoruntersuchung festgestellte Störungen des Wettbewerbs abstellen kann. Bisher endeten Sektoruntersuchungen mit einem Bericht des Bundeskartellamts; künftig kann die Behörde verschiedene Maßnahmen anordnen, um festgestellte Störungen des Marktes zu adressieren. Zum Beispiel können Marktzugänge erleichtert, Konzentrationstendenzen gestoppt oder – in Extremfällen und als ultima ratio – Unternehmen entflochten werden. Vorbild hierfür ist die Marktuntersuchung der britischen Wettbewerbsbehörde (CMA), die ebenfalls Abhilfemaßnahmen bis hin zu Entflechtungen vornehmen kann.

• Zweitens wird im Fall von Kartellrechtsverstößen die Abschöpfung der daraus entstandenen Vorteile für das Kartellamt deutlich erleichtert. Das bisher bestehende Instrument wurde aufgrund hoher Voraussetzungen vom Bundeskartellamt noch nicht genutzt, da sehr hohe rechtliche Hürden galten. Diese werden nun abgesenkt.

• Drittens schafft der Gesetzentwurf die rechtlichen Grundlagen dafür, dass das Bundeskartellamt die Europäische Kommission bei der Durchsetzung des Digital Markets Act unterstützen kann. Zudem wird die private Durchsetzung des Digital Markets Acts erleichtert.