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WBP NEWS

Online-News für den 15.11.2023

Zivilrecht

Ausfälligkeiten in sozialen Netzwerken können zu fristloser Kündigung eines Pachtvertrags
Ein Mann hatte von einem Verein eine Gaststätte gepachtet. Im Laufe der Zeit kam es zu Unstimmigkeiten zwischen dem Pächter und den Vereinsmitgliedern. Unter anderem ärgerte sich der Pächter darüber, dass Vereinsmitglieder das Tor zu dem Vereinsgelände nicht richtig verschließen würden. Dies und weitere emotionale Belastungen des Pachtverhältnisses führte schließlich dazu, dass sich der Streit in die sozialen Netzwerke des Internets verlagerte und dort eskalierte. In einer Nachricht wünschte der Pächter einem der Vereinsvorsitzenden ein „Scheiß“-Weihnachten und Neujahr und auch „viel Krankheit“ und unterstrich seine Botschaft durch zwei animierte Kothaufen-Emojis. Daraufhin wurde ihm vom Verein die fristlose Kündigung ausgesprochen. Dies wollte der Pächter nicht akzeptieren, sodass der Verein vor dem LG auf Räumung klagte.
Das LG gab der Räumungsklage statt. Nach den Beleidigungen und Beschimpfungen könne dem Verein die Fortsetzung des Pachtverhältnisses nicht zugemutet werden, auch nicht bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist. Weder längere Streitigkeiten mit dem Vorstand des Vereins noch Auseinandersetzungen über die Pflicht, das Tor zum Vereinsgelände zu verschließen, rechtfertigten das Versenden von Beschimpfungen und von Kothaufen-Emojis. Da ein überragendes Interesse des Vereins vorliege, dass seine Vorstandsmitglieder und Trainer nicht weiter beleidigt und beschimpft würden, sei nach Ansicht der Kammer in diesem Fall auch keine Abmahnung erforderlich gewesen. (LG Frankenthal, Urt. V. 26.09.2023 – 6 O 75/23; nrkr.)

Abstract: Soziale Netzwerke und Messenger-Dienste sind kein rechtsfreier Raum. Wer dort gegenüber seinem Verpächter ausfällig wird, muss damit rechnen, dass ihm das Pachtverhältnis fristlos gekündigt wird.

Steuerrecht

Weg zum Bundesverfassungsgericht bei Verletzung des gesetzlichen Richters vereinfacht
Die Klägerin führte ein Gerichtsverfahren, in dem sie die Unionsrechtswidrigkeit und die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung von Sportwetten rügte. Das Verfahren hatte weder beim Finanzgericht noch beim BFH Erfolg. Im Verfahren vor dem BFH rügte die Klägerin zahlreiche Verstöße gegen Unionsrecht und beantragte, das Verfahren dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Nachdem der BFH dem Vorbringen der Klägerin nicht gefolgt war und das Verfahren nicht dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte (Urt. des BFH v. 17.05.2021 – IX R 20/18), erhob die Klägerin eine Nichtigkeitsklage. Der BFH habe in willkürlicher und nicht vertretbarer Weise seine Verpflichtung verletzt, Rechtsfragen dem EuGH vorzulegen. Dadurch sei sie in verfassungswidriger Weise ihrem gesetzlichen Richter entzogen worden.
Der BFH hat die Nichtigkeitsklage als unzulässig abgewiesen. Eine Nichtigkeitsklage könne u.a. erhoben werden, wenn das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt sei, z.B. bei Verstößen gegen die Geschäftsverteilung. Die fehlerhafte Handhabung einer Vorlageverpflichtung hingegen könne nicht im Wege der Nichtigkeitsklage vorgebracht werden. Hat ein Kläger daher in einem Gerichtsverfahren die Vorlage an den EuGH angeregt und kommt das letztinstanzliche Gericht dem nicht nach, kann er die nach seiner Auffassung vorliegende Verletzung der Vorlagepflicht unmittelbar im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht rügen. (BFH, Urt. V. 10.10.2023 – IX K 1/21)

Abstract: Eine Nichtigkeitsklage, mit der lediglich eine Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den EuGH geltend gemacht wird, ist nicht zulässig ist. Dadurch wird der Weg zum Bundesverfassungsgericht vereinfacht, denn Kläger, die der Auffassung sind, der BFH habe ihren Fall zu Unrecht nicht dem EuGH zur Vorabentscheidung einer Unionsrechtsfrage vorgelegt und sie hierdurch ihrem gesetzlichen Richter entzogen, können unmittelbar mit einer Verfassungsbeschwerde das BVerfG anrufen und müssen nicht zuvor noch eine Nichtigkeitsklage beim BFH erheben.

Zivilrecht

Haftung bei Freundschaftsdiensten
Eine Frau besuchte ihre Schwägerin zu Hause. Bei ihrem Eintreffen war ihre Schwägerin mit der Sanierung ihres Wohnhauses beschäftigt. Sie stand in einem Graben an der Hauswand und befestigte Styroporplatten an ihrer Kellerwand. Die Frau stieg zu ihrer Schwägerin in den Graben und reichte ihr weitere Styroporplatten an. Als die Frau später in Abwesenheit ihrer Schwägerin selbst eine Styroporplatte auf eine aus dem Erdreich in das Haus geführte Stromversorgungsleitung drückte, kam es zu einem Kurzschluss. Hierbei erlitt sie einen Stromschlag und schwere Verbrennungen. Vor dem LG verlangte die Frau von ihrer Schwägerin Schadenersatz für ihre Verletzungen sowie Ersatz für Behandlungskosten, Verdienstausfall und Ersatz für die Zeit, die sie ihren Haushalt nicht führen konnte. Sie warf ihrer Schwägerin vor, dass sie das Stromkabel nicht ausreichend abgesichert habe und sie auch nicht auf die drohende Gefahr hingewiesen habe. Hiergegen wehrte sich die Schwägerin der Frau. Sie meint, dass ihre Besucherin ihr wie eine Mitarbeiterin geholfen habe. Für ihren „Arbeitsunfall“ müsse sie daher nicht persönlich haften.
Das LG folgte den Argumenten der Schwägerin nicht. Die Hilfe der Frau könne nicht mit der Tätigkeit für einen Unternehmer verglichen werden. Es handelte sich nach Auffassung des Richters um „eine freiwillige Unterstützungshandlung im Rahmen eines engen familiären Verhältnisses ohne jegliche materiellen Vorteile für die Klägerin, die völlig ungezwungen anlässlich der Unterhaltung mit der Beklagten versuchte, sich ein wenig nützlich zu machen, ohne sich dabei einem bestimmten, von der Beklagten vorgegebenen Ablauf unterzuordnen.“. Zudem habe die Schwägerin es versäumt, ihren Besuch vor den Gefahren ihres Grundstücks zu bewahren. Daher müsse sie ihrem Besuch grundsätzlich auch dessen Schaden ersetzen. Denn es sei aufgrund des gerichtlich festgestellten Ablaufs zu vermuten, dass die Ummantelung des Stromkabels schadhaft gewesen sei und es die Schwägerin versäumt habe, dessen Zustand zu überprüfen. Die Frau treffe aber eine Mitschuld. Sie habe den Graben freiwillig betreten und sich bei ihrer Mitarbeit auf einer Baustelle bewusst einem Risiko ausgesetzt. Zudem habe sie erkennen können, dass das Stromkabel nur behelfsmäßig freigelegt war. Im Ergebnis könne sie daher nur 50 % ihres Schadens ersetzt bekommen. (LG Lübeck, Urt. v. 23.08.2023 – 6 O 161/22 vom 23.08.2023; nrkr.)

Abstract: Wer im Familienkreis auf einer Baustelle zur Hand geht, handelt auch auf eigene Gefahr.

Sozialrecht

Krebs als Berufskrankheit auch bei ehemaligen Rauchern
Der 1956 geborene Kläger war von 1998 bis 2013 als Schweißer beschäftigt. Zur Rissprüfung von Schweißnähten verwendete der Kläger azofarbstoffhaltige Sprays mit dem kanzerogenen aromatischen Amin o-Toluidin. 2014 wurde bei ihm Harnblasenkrebs diagnostiziert. Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte die Feststellung einer Berufskrankheit ab. Der langjährige Nikotinkonsum des Klägers habe zu einer Verdoppelung des Erkrankungsrisikos geführt. Anders als das SozG hat das LSG die Klage auf Anerkennung einer Berufskrankheit Nummer 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung abgewiesen. Die Einwirkungsdosis an o-Toluidin erreiche nicht annähernd Werte in Höhe der Technischen Richtkonzentration (TRK-Wert).
Das BSG hat dagegen die Entscheidung des Sozialgerichts zugunsten des Klägers bestätigt. Die Berufskrankheit Nummer 1301 setzt keine Mindesteinwirkungsdosis aromatischer Amine voraus. Konkrete außerberufliche Ursachen der Erkrankung sind ausgeschlossen. Insbesondere ist mit seiner Aufgabe im Jahr 2000 das Rauchen nicht mehr hinreichend wahrscheinlich eine Ursache der Krebserkrankung des Klägers. (BSG, Urt. v. 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R)

Abstract: Die Harnblasenkrebserkrankung eines Schweißers kann wegen der beruflichen Einwirkung aromatischer Amine trotz langjährigen Rauchens als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn der Nikotinkonsum nach jahrelanger Abstinenz nicht mehr hinreichend wahrscheinlich die Krebserkrankung verursacht hat.


Neuer Energiesenat beim Bundesverwaltungsgericht
Als sog. Energiesenat ist ein neuer Senat des BVerwG zuständig für Sachen aus dem Gebiet des Rechts des Ausbaus von Energieleitungen sowie Streitigkeiten, die Vorhaben zur Errichtung und zur Anbindung von Terminals zum Import von Wasserstoff und Derivaten betreffen. Er wird damit insbesondere mit Verfahren befasst sein, für die der Gesetzgeber eine besondere Beschleunigung anstrebt und die er daher dem BVerwG als erster und letzter Instanz zugewiesen hat. Den Vorsitz des 11. Senats übernimmt Prof. Dr. Christoph Külpmann. Insgesamt verfügt das BVerwG damit über 59 Richterinnen und Richter in elf Revisionssenaten und zwei Wehrdienstsenaten.