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WBP NEWS

Online-News für den 15.08.2024

Zivilrecht

Schätzung des merkantilen Minderwerts eines Unfallfahrzeugs
Ein (geleastes) Fahrzeug wurde bei einem Verkehrsunfall erheblich beschädigt. Die volle Haftung des beklagten Haftpflichtversicherers stand außer Streit. Die Klägerin ließ das Fahrzeug reparieren und machte einen merkantilen Minderwert von 1.250 € geltend. Die Beklagte bezahlte nur 700 €. Mit der Klage verlangte die Klägerin Zahlung des restlichen Betrags an die Leasinggesellschaft. Zwischen den Parteien war streitig, ob vom merkantilen Minderwert ein „Umsatzsteueranteil“ abzuziehen ist. Das AG hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das LG hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des AG i.H.v. 300 € aufrechterhalten und die Klage im Übrigen ab- und die weitergehende Berufung zurückgewiesen. Es hat ein Sachverständigengutachten eingeholt und auf dieser Grundlage angenommen, dass ein merkantiler Minderwert von insgesamt 1.000 € anzusetzen sei, weshalb die Beklagte weitere 300 € zu zahlen habe. Ein „Umsatzsteueranteil“ sei vom Minderwert nicht abzuziehen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision hat die Beklagte ihr Ziel, die Klage in Höhe des ihrer Ansicht nach vom Minderwert abzuziehenden „Umsatzsteueranteils“ abzuweisen, weiterverfolgt.
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Beim merkantilen Minderwert handelt es sich um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil Unfallfahrzeuge auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen geringeren Preis als unfallfreie erzielen. Der Ersatz des merkantilen Minderwerts als solcher unterliegt nicht der Umsatzsteuer nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, da es sich bei dem zu zahlenden Schadensersatz (§ 251 Abs. 1 BGB) nicht um eine Leistung gegen Entgelt handelt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist vom merkantilen Minderwert für den Fall, dass er ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt wurde, ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag abzuziehen. Ob das Berufungsgericht im Streitfall den Minderwert ausgehend von Brutto- oder Nettoverkaufspreisen geschätzt hat, stand nicht fest. Zur Bemessung des Minderwerts wird geschätzt, um wieviel geringer der erzielbare Verkaufspreis bei einem gedachten Verkauf des beschädigten Fahrzeugs nach der Reparatur im Vergleich zum erzielbaren Verkaufspreis ohne den Unfall wäre. Diese Wertdifferenz ist unabhängig davon zu ersetzen, ob der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur verkauft oder behält. Bei der Schätzung des Minderwerts ist aus Rechtsgründen auf die jeweiligen Nettoverkaufspreise abzustellen. Denn wenn es sich bei dem der Schätzung des merkantilen Minderwerts zugrunde zu legenden hypothetischen Verkauf um eine der Umsatzsteuer unterliegende Leistung eines Unternehmers handelt, würde der Geschädigte zwar zusätzlich zum Nettoverkaufspreis die darauf entfallende Umsatzsteuer erhalten, müsste sie aber an das Finanzamt abführen. Sie wäre bei ihm nur ein durchlaufender Posten. Unterliegt der gedachte Verkauf hingegen nicht der Umsatzsteuer (beim Verkauf „von privat“), dürfte dem Käufer schon gar keine Umsatzsteuer in Rechnung gestellt werden. Wurde der merkantile Minderwert ausgehend von Bruttoverkaufspreisen geschätzt, ist er in der Weise nach unten zu korrigieren, dass von ihm ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag abgezogen wird. Andernfalls käme es zu einer Bereicherung des Geschädigten. Eine andere – nicht rechtliche, sondern tatsächliche – Frage ist es, welche Preise eine Privatperson bei einem Verkauf erzielen würde, insbesondere, ob diese Preise, obwohl es Nettopreise sind, betragsmäßig an die von Unternehmern erzielbaren Bruttopreise heranreichen würden. (BGH, Urt. v. 16.07.2024 – VI ZR 188/22)

Abstract: Der merkantile Minderwert eines erheblich unfallbeschädigten Fahrzeugs ist in jedem Fall ausgehend von Netto- und nicht von Bruttoverkaufspreisen zu schätzen. Wurde der merkantile Minderwert ausgehend vom Bruttoverkaufspreis geschätzt, ist ein dem „Umsatzsteueranteil“ entsprechender Betrag vom Minderwert abzuziehen.

Sozialrecht

Kein Wechsel von privater in gesetzliche Krankenversicherung durch kurzzeitigen Teilrentenbezug
Der heute 69 Jahre alte Kläger ist seit dem Jahr 2008 privat krankenversichert, seit Juli 2019 verheiratet und bezieht, nachdem er seine hauptberufliche selbstständige Tätigkeit aufgegeben hatte, neben einer Betriebsrente eine Rente der Deutschen Rentenversicherung. Zum 01.09.2021 beantragte er bei der Rentenversicherung, nur einen Teil seiner Rente ausgezahlt zu bekommen. Sodann beantragte der Rentner unter Verweis auf das nun unterhalb der maßgeblichen Einkommensgrenze liegende Monatseinkommen die Aufnahme in die beitragsfreie gesetzliche Familienversicherung seiner Ehefrau. Er teilte mit, nach drei bis vier Monaten wieder seine Vollrente beziehen und sodann in der gesetzlichen Krankenversicherung bleiben zu wollen. Dies lehnte die Krankenkasse seiner Ehefrau ab. Der Rentner beziehe die Teilrente nur vorübergehend. Bei der Berechnung der Einkommensgrenze komme es aber auf den Jahresdurchschnitt an. Die wesentlich höhere Vollrente, die der Kläger im Anschluss beziehen werde, sei daher zu berücksichtigen. Die hiergegen gerichtete Klage vor dem SozG blieb ohne Erfolg. Die missbräuchliche Wahl der Teilrente eröffne nicht den Weg in die gesetzliche Krankenversicherung. In seiner Berufung hat der Rentner darauf verwiesen, dass er lediglich sein legitimes gesetzliches Gestaltungsrecht gegenüber der Rentenversicherung genutzt habe.
Das LSG hat mit seinem Urteil die Entscheidung des SozG bestätigt. Es hat ausgeführt, dass der Bezug einer Teilrente für nur drei bis vier Monate regelmäßig keinen Wechsel von der privaten Krankenversicherung in die gesetzliche Familienversicherung ermögliche. Die Wahl einer Teilrente sei zwar zulässig, ein nur vorübergehender Bezug stelle jedoch kein regelmäßiges Einkommen dar. Vielmehr sei prognostisch für die kommenden zwölf Monate ein Durchschnittseinkommen zu bilden aus derzeitiger Teilrente und beabsichtigter Vollrente. Bezieher von Renten seien nur dann in der Familienversicherung zu versichern, wenn dieses Durchschnittseinkommen geringer sei als die maßgebliche Einkommensgrenze. Diese Auslegung sei zum Schutz der Solidargemeinschaft der Krankenversicherung geboten. Die Familienversicherung solle Familien entlasten. Daher seien nur solche Familienangehörigen beitragsfrei mitzuversichern, die gegenwärtig und in absehbarer Zukunft bedürftig seien und blieben. (LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.07.2024 – L 14 KR 129/24; nrkr.)

Abstract: Rentner können nicht durch die vorübergehende Wahl einer Teilrente von der privaten Krankenversicherung dauerhaft in die gesetzliche Krankenversicherung wechseln.

Arbeitsrecht

Feiertagszuschläge – Maßgeblichkeit des regelmäßigen Beschäftigungsorts
Der Kläger, dessen regelmäßiger Beschäftigungsort in NRW liegt, nahm auf Anordnung seines Arbeitgebers vom 01. bis 05.11.2021 an einer Fortbildungsveranstaltung in Hessen teil. Das auf den 01.11. fallende Hochfest Allerheiligen ist zwar nach dem Feiertagsgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen gesetzlicher Feiertag, nicht jedoch nach den für das Bundesland Hessen geltenden landesrechtlichen Bestimmungen. Vor diesem Hintergrund streiten die Parteien darüber, ob dem Kläger gleichwohl für die am 01.11.2021 von ihm in Hessen unstreitig erbrachte Arbeitsleistung Feiertagszuschläge zustehen. Das ArbG hat der Klage stattgegeben. Das LAG hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen.
Die hiergegen gerichtete Revision des Klägers hatte vor dem BAG Erfolg. Dem Kläger stehen die begehrten Feiertagszuschläge zu. Für den Zuschlagsanspruch ist nach den tariflichen Regelungen des TV-L der regelmäßige Beschäftigungsort maßgeblich. Dieser lag im Streitfall in NRW. (BAG, Urt.- v. 01.08.2014 – 6 AZR 38/24)

Abstract: Für Beschäftigte, die unter den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) fallen, richtet sich der Anspruch auf Feiertagszuschläge danach, ob am regelmäßigen Beschäftigungsort ein gesetzlicher Feiertag ist.

Zivilrecht

„Mieterhöhung über den Mietspiegel hinaus? In der Regel nicht!“
Die (Berufungs-)Klägerin begehrte die Zustimmung zu einer Mieterhöhung. Sie vertrat insbesondere die Ansicht, es sei in Zeiten hoher Inflation die Berücksichtigung einer Stichtagsdifferenz sachgerecht. Sie forderte deshalb einen Zuschlag zu den Mietwerten des Mietspiegels 2023 wegen einer ungewöhnlichen Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete, die in der Zeit zwischen der Datenerhebung zum Mietspiegel und dem Zugang des Mieterhöhungsverlangens eingetreten sei. Der beim AG zur Entscheidung berufene Richter ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Das LG teilte die Auffassung des Erstgerichts.
Die zuständige Kammer beim LG hat in ihrer grundlegenden, richtungsweisenden Entscheidung für ganz München insbesondere ausgeführt: Zwar komme den Gerichten nach einem Urteil des BGH aus dem Jahr 2013 bei Beurteilung eines Mieterhöhungsverlangens in Fällen, in denen zwischen dem Erhebungsstichtag eines Mietspiegels und dem Zugang des Zustimmungsverlangens nachträglich „ungewöhnliche Steigerungen der ortsüblichen Vergleichsmiete“ festzustellen sind, ein weiter Beurteilungsspielraum zu. In dessen Rahmen ist das Tatgericht grundsätzlich auch befugt, einen Stichtagszuschlag vorzunehmen, wenn dies dem Gericht zur Bildung einer sachgerechten Einzelvergleichsmiete angemessen erscheint.
Nach Einschätzung des LG hat das Erstgericht vorliegend seinen Beurteilungsspielraum eingehalten. Insbesondere habe es eine ungewöhnliche Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete zutreffend verneint. Dies wurde auch damit begründet, dass ein Anstieg nach dem Index für Nettokaltmieten in Bayern von nur wenig mehr als 3% keinen außergewöhnlichen Mietanstieg bedeutet. Das LG wies darauf hin, dass sich eine „ungewöhnliche Steigerung der ortsüblichen Vergleichsmiete“ über den Mietspiegel hinaus nicht mit einem Anstieg des Verbrauchpreisindex begründen lässt. Beim Berechnen des Verbraucherpreisindex bzw. der Inflationsrate wird ein sog. Warenkorb verwendet, der rund 700 Güterarten umfasst und sämtliche von privaten Haushalten in Deutschland gekauften Waren und Dienstleistungen repräsentiert. Dem Verbraucherpreisindex könne nach Ansicht des LG für den spezifischen Anstieg der Wohnungsmieten und erst recht für die Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete keine belastbare Aussage entnommen werden. Auch betonte die zuständige Kammer, dass die Einführung einer „Stichtagspraxis“ zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führen, die die bedeutsame Befriedungsfunktion des Mietspiegels gerade in angespannten Mietmärkten gefährden könnte. Auf den Hinweisbeschl. gemäß § 522 Abs. 2 ZPO, wonach die Entscheidung des Erstgerichts zutreffend ist, wurde die Berufung zurückgenommen. (LG München I, Hinweisbeschl. v. 17.07.2024 – 14 S 3692/24)

Abstract: Ein Stichtagszuschlag beim Mieterhöhungsverlangen über den Mietspiegel hinaus lässt sich nicht mit dem Anstieg des Verbraucherpreisindex (Inflation) begründen.

Organspenden: Bundesrat startet Gesetzesinitiative zur Widerspruchslösung
Das Transplantationsgesetz soll geändert werden, um die Widerspruchslösung bei Organspenden einzuführen. Der Bundesrat hat beschlossen, einen entsprechenden Gesetzentwurf beim Bundestag einzubringen. Mit dem Gesetz sollen mehr Menschen, die auf eine Organspende angewiesen sind, ein lebensrettendes Organ erhalten. Das Recht des Einzelnen, sich für oder gegen eine Organspende zu entscheiden, bleibt weiterhin ausdrücklich unangetastet. Durch Einführung der sog. Widerspruchslösung soll aber zukünftig jede Person als Organspender gelten, wenn sie nicht zu Lebzeiten einer Organspende widersprochen hat oder auf andere Art und Weise zum Ausdruck gebracht hat, keine Organe spenden zu wollen. Bei Personen, die nicht in der Lage sind, Wesen, Bedeutung und Tragweite einer Organspende zu erkennen, soll eine Organentnahme grundsätzlich unzulässig sein. Der Widerspruch kann im Organspende-Register, in einem Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder auf andere Art und Weise festgehalten werden und bedarf keiner Begründung. Liegt kein schriftlicher Widerspruch vor, werden die Angehörigen gefragt, ob die Person zu Lebzeiten einen entgegenstehenden Willen geäußert hat. Bei Minderjährigen können die Eltern entscheiden, sofern der oder die Minderjährige nicht zuvor seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat. Der mutmaßliche Wille der minderjährigen Person ist bei der Entscheidung zu beachten. (Mitteilung des Bundesrats)